„Es geschehe Gottes Wille“
Die Geschichte des dritten Generalkapitels der Gesellschaft des Göttlichen Heilandes ist zugleich die Geschichte des Rücktritts des Gründers P. Jordan. Was bewegt einen Menschen dazu, sein Lebenswerk, seine Gründung, die er spirituell und administrativ 34 Jahre lang geleitet hat, in andere Hände zu geben; einen Menschen, der als nervös, zögerlich und ängstlich beschrieben wird; der zugleich nichts anderes möchte als den Willen Gottes?
Text: Robert Passini
P. Jordan erklärte nach der formellen Eröffnung des dritten Generalkapitels der Salvatorianer am 8. Oktober 1915: „Bis jetzt habe ich es nicht als den Willen Gottes erkannt, dass ich unter den gegebenen Umständen und in der gegenwärtigen Lage der Gesellschaft von meinem Amt zurücktrete; da ich aber weiß, dass gewünscht oder für besser gehalten werde, dass ich nicht wiedergewählt werde, verzichte ich auf meine Wiederwahl.“1 Hat P. Jordan sein Amt wirklich freiwillig zurückgelegt? Konnte er seine Entscheidung gut bedenken, lange überlegen?
Was geschah seit dem letzten Generalkapitel 1908?
In der Gesellschaft des Göttlichen Heilandes gab es seit 1908 einige Veränderungen: Die weltweite Ordensgemeinschaft wurde 1909 in vier Provinzen aufgeteilt, 1911 endgültig päpstlich anerkannt und die Apostolische Visitation 1913 nach beinahe 19 Jahren beendet. Aber es geschah auch weniger Erfreuliches: P. Bonaventura Lüthen, P. Jordans treuer Vertrauter, auf dessen Rat er stets hörte, starb 1911, der Erste Weltkrieg brach aus, und im Mai 1915 musste das Generalat aus Rom nach Freiburg in die neutrale Schweiz wechseln.2 Im Oktober 1914 hätte das dritte Generalkapitel stattfinden sollen, doch wegen des Krieges wurde es um ein Jahr verschoben. P. Jordans Kräfte waren geschwächt. Er hatte ein wachsendes Nerven- und Magenleiden, sein Gedächtnis und seine Aufmerksamkeit ließen nach und damit auch seine Entschlussfreudigkeit.3
Waren die ersten beiden Generalkapitel (1902 und 1908) von Schwierigkeiten geprägt, die mit Unzufriedenheit und Bedenken mancher Mitglieder und des Apostolischen Visitators P. Antonio Intreccialagli OCD zu tun hatte, ist über das dritte Kapitel (1915) zu lesen: „Es fand […] ein reicher Ideenaustausch statt, und wenn auch in Anbetracht der Ungunst der Zeit die Lösung mehrerer Fragen aufgeschoben werden mußte, so gewann man doch allseitig den Eindruck, daß die Verhandlungen für unsere Gesellschaft von Nutzen sein dürften.“4 P. Jordans Verzicht auf eine Wiederwahl zum Generaloberen wurde in der Öffentlichkeit nicht groß erwähnt.
Der Rücktritt in der traditionellen Geschichtsschreibung
Beinahe alles, was über die Zeit der Amtsniederlegung von P. Jordan veröffentlicht wurde, verfasste dessen Nachfolger P. Pankratius Pfeiffer. 1930 erstellte dieser eine umfassende Biografie mit dem Kurztitel „P. Jordan und seine Gründungen“. Darin wird in knappen Worten beschrieben, dass P. Jordan noch vor der Wahl zum Generaloberen die Gründe einer möglichen Wiederwahl überlegte. P. Pfeiffer erklärt das Für und Wider: „Dafür sprach die Tatsache, daß tatsächlich doch er der geistliche Vater der Familie war und alle daher seine geistlichen Söhne waren. Dagegen sprach sein leidender Gesundheitszustand.“5 Und weiter schreibt er, P. Jordans Ratgeber hätte ihm den Verzicht auf Wiederwahl nahegelegt. Die „Regierung sei infolge des Krieges für ihn zu schwer. So dächten wohl auch andere.“6 Details sind in der Jordanbiografie keine zu finden.
Es gibt noch zwei weitere Quellen, doch ohne neue Erkenntnisse. Um den Prozess der Seligsprechung von P. Jordan voranzubringen, hat P. Pfeiffer 1935 ca. 50 Personen schriftlich befragt. Die Antworten sind unter dem italienischen Wort Questionario bekannt. 1943–1944 sagten Salvatorianer in insgesamt sieben Diözesanprozessen für die Seligsprechung von P. Jordan unter Eid aus. Doch das persönlichste und ausführlichste Dokument über den Rücktritt von P. Jordan stammt von seinem Vertrauten P. Tharsitius Wolff. Dieser hatte Mitte der 1960-Jahre, ein paar Jahre vor seinem Tod, als letzter lebender Teilnehmer des dritten Generalkapitels seine Erinnerungen auf Tonband gesprochen und so auch das auferlegte Schweigen über P. Jordans Rücktritt gebrochen. All diese Prozessakte und Tonbandaufnahmen wurden bislang nur in zwei Publikationen berücksichtigt: In Letzte Lebensjahre Pater Jordans (DSS XVIII) veröffentlichte P. Bernward Meisterjahn 2008 das Transkript von P. Wolff unkommentiert. Und im Büchlein Wenn das Gehen kommt von P. Peter van Meijl wurde 2014 P. Jordans Verzicht auf Wiederwahl unter Berücksichtigung der Erinnerungen von P. Wolff sowie anderer Briefe und Dokumente ausführlich kommentiert. Mehr ist in der traditionellen salvatorianischen Geschichtsschreibung über dieses wichtige Thema nicht zu finden.
Vorbereitung zum Rücktritt
P. Tharsitius Wolff SDS
Generalprokurator P. Pfeiffer und andere Generalatsmitglieder sahen ein Problem in P. Jordans geschwächtem Gesundheitszustand. In der Voraussicht, dass P. Jordan nicht mehr die Gesellschaft leiten werden könne, wurde bereits 1913 beim Heiligen Stuhl um Erlaubnis gebeten, dass P. Jordan den Titel des Generalsuperiors auf Lebenszeit behalten können dürfe, selbst wenn er die Leitung nicht mehr inne hätte. Ein möglicher Nachfolger sollte den Titel „Generalvikar“ erhalten. Der Heilige Stuhl erlaubte dies. Durch den Krieg fand das Generalkapitel ein Jahr später als geplant statt, vom 8. bis 22. Oktober 1915. Der Tagungsort war das Kolleg in Freiburg in der neutralen Schweiz, in das das Generalat fünf Monate zuvor übersiedeln musste.
Der Superior des Hauses und Delegierter der Deutschen Provinz, P. Tharsitius Wolff, hat „als Superior des Kollegs sich beim Gründer eines gewissen Vertrauens erfreut“7. Sein Provinzial, P. Hilarius Gog, kam „kurz vor Beginn der Sitzungen“8 zu ihm, um vertraulich zu sprechen. Wann genau dieses Gespräch stattfand, ist nicht bekannt, doch kann es nur ein paar Tage vor dem offiziellen Beginn des Kapitels gewesen sein, da P. Wolff selbst erst am 5. Oktober 1915 anreiste.9 In diesem Gespräch wurde P. Wolff um etwas gebeten, das ihm widerstrebte. Es gab in der Gesellschaft eine starke Strömung gegen eine weitere Amtszeit P. Jordans. Die meisten Generalkonsultoren waren überzeugt, dass vor allem während der schwierigen Zeit des Ersten Weltkrieges ein anderer die Geschäfte der Leitung übernehmen sollte. Dem Ansehen der Gesellschaft würde außerdem ein Schaden entstehen, wenn P. Jordan als Gründer eine Wiederwahl verliere. Daher sollte ihm P. Wolff in einem Gespräch nahelegen, noch vor der Wahl des Generaloberen, die auf der Agenda an erster Stelle stand, auf das Amt des Generaloberen zu verzichten. So bliebe eine Peinlichkeit des Nicht-gewählt-Werdens erspart.
P. Wolff lehnte die Bitte ab. Immerhin gehörte er nicht dem Generalkonsultorium an und war nur ein „einfacher Oberer“10. Außerdem hatte er das Gefühl, er müsse „für sämtliche Kapitularen und Provinzialate die Kohlen aus dem Feuer holen“11. P. Gog versuchte, ihn zu überzeugen. P. Jordan kenne die Ergebenheit und Treue von P. Wolff. Daher wäre dieser der einzige, der P. Jordan den in den Augen der Mitbrüder vernünftigen Schritt zur Amtsniederlegung schonend beibringen könne. Doch P. Wolff blieb bei seiner Entscheidung.
Er wurde „auch von den anderen Konsultoren sozusagen bestürmt, dass … [er] diese Aufgabe übernehmen müsse“12. Nach und nach besuchten ihn – alles in der kurzen Zeit vor Beginn des Kapitels – die Teilnehmer, um ihm ihre Meinung zu dieser Sache zu erzählen. P. Wolff hatte jedoch nicht den Eindruck, „dass alle Kapitularen von der Amtsunfähigkeit des Ehrwürdigen Vaters überzeugt waren“13.
Beinahe 50 Jahre später erinnert er sich: „Man hatte mich gebeten, weil man glaubte, der Ehrwürdige Vater würde es von mir am leichtesten entgegen nehmen. … Auch der Vertreter des Heiligen Stuhles … wünschte“14 es. P. Wolff überlegte die Gründe. „Das Befinden des Ehrwürdigen Vaters und die Schwierigkeiten in der Regierung waren wirklich groß, wie ich selbst in Freiburg erfahren konnte. Ich habe viele Briefe von ihm durchlesen und ihm Rat erteilen müssen, Briefe beispielsweise an den Apostolischen Delegaten in Indien, bei denen es sich um schwerwiegende Entschließungen für die Mission Assam handelte. Solche Briefe habe ich immer wieder zwei-, dreimal noch von der Post in Freiburg zurückholen müssen, weil er immer noch Gewissenszweifel hatte, ob er alles richtig erklärt habe. Sie wurden wieder geöffnet, und so kamen die Sachen nicht vorwärts. Auf diese Weise wurde natürlich die Regierung im Generalate sehr erschwert, und ich kann es begreifen, dass gerade Generalatsmitglieder überzeugt waren, dass der Ehrwürdige Vater mit der Zeit durch seine Gewissenszweifel und seine Nervenschwäche ein großes Hindernis für die Abwicklung der Geschäfte bedeutete.“15
Also sagte P. Wolff doch zu, mit P. Jordan zu sprechen.
Die Reaktion von P. Jordan
P. Franziskus Jordan, Rom, 7. Mai 1915, auf der Terrasse des Mutterhauses, aufgenommen vor seiner durch den Ersten Weltkrieg erzwungenen Ausreise aus Rom
P. Wolff berichtet von einem „fast erstaunten Ausdruck, der sich allmählich in Schmerz verwandelte“16. P. Jordan: „Darauf kann ich zunächst nichts sagen … Sind Sie auch der Ansicht, dass ich zurücktreten sollte?“17 Diese Frage an einen jungen und unerfahrenen Ordensmann18 drückt P. Jordans Entscheidungsunfreudigkeit aus: Er baute auf die Meinung anderer. Alle diplomatischen Überzeugungsversuche von P. Wolff, dass er glaubte, P. Jordan würde gewählt werden, und es darum ginge, ihn von der Last der Leitung der Gesellschaft zu befreien, wies er zurück mit den Worten: „Das, lieber Pater, hat mit Demut19 gar nichts zu tun. Es kommt hier nur auf den Willen Gottes an und die Absichten, die er mit mir und meinen Gründungen hat.“20 P. Jordan drückte in diesem Gespräch ebenso klar aus, dass er es für verfrüht hielte, die Gesellschaft ganz in andere Hände zu geben. Er fürchtete, dass sie auf falsche Bahnen geleitet werden könne, die dem Willen Gottes widersprechen könnten. In weiterer Folge bat P. Jordan seinen Vertrauten, ihm einen geeigneten Berater zu nennen. „Er soll fromm sein, aber vor allem klug und ein guter Theologe, ein guter Beichtvater, der seine Moral und das Kirchenrecht kennt. Er soll nicht dem Kapitel angehören, damit er ganz frei und unbefangen urteilen kann.“21 P. Wolff nannte ihm P. Macarius Dicks.
Über das folgende Gespräch mit P. Dicks ist nichts überliefert, doch scheint es, als hätte dieser P. Jordan zum freiwilligen Rücktritt bewogen. P. Jordan sagte nach seiner Entscheidung zu P. Wolff, „er wolle nicht, dass seine Söhne, die Kapitularen, seinetwegen Gewissensunruhe hätten bei der Abstimmung“22. So verkündete
er nach der formellen Eröffnung des Kapitels am 8. Oktober 1915 um 8 Uhr früh den Verzicht auf Wiederwahl. P. Wolff schildert in seinen Erinnerungen: „Man merkte ihm an, er tat es nicht gern, und man konnte an seinen zögernden Worten merken, wie schwer es ihm wurde, die Gesellschaft aus der Hand zu geben.“23
Fazit
P. Tharsitius Wolff hinterlässt mit seinen Memoiren ein sehr persönliches und detailliertes Bild von P. Jordans Rücktritt. Vor allem fällt auf, wie knapp vor dem Kapitel P. Jordan, nicht als entscheidungsfreudig bekannt, gedrängt wurde, innerhalb weniger Tage im Besten für seine Gesellschaft zu handeln. Es kann durchaus erahnt werden, welche schwere Zeit diese Tage für ihn gewesen sein mussten. Vielleicht hat P. Jordan stärker mit sich gerungen, als es in der traditionellen Geschichtsschreibung überliefert ist.
P. Jordan starb drei Jahre nach dem Generalkapitel. Er hat sich in diesen Jahren sehr für die Gesellschaft interessiert, jedoch nie in die Geschäfte eingemischt. Mit seinem Nachfolger P. Pankratius Pfeiffer verstand er sich sehr gut. Doch hat P. Jordan seine Entscheidung nie bereut? Der Jungpriester P. Ansbert Schilp befand sich in jenem Augenblick auf dem Gang des Kollegs in Freiburg, als P. Jordan unmittelbar nach der Wahl seines Nachfolgers aus dem Saal trat. „Mit einer hingebenden Handbewegung – ich sehe es noch heute – sagte er mir: ‚Im Namen Gottes, es geschehe Gottes Wille. Pater Pankratius ist mein Nachfolger geworden.‘ Dies sagte er mit einer beeindruckenden Ruhe, obwohl die Angelegenheit ihn innerlich sehr hat bewegen müssen.“24
P. Ansbert Schilp SDS
1 Diese Erklärung wurde in lateinischer Sprache ins Protokollbuch des Generalkapitels aufgenommen, vgl. van Meijl, S. 63, vgl. Schneble, S. 5
2 vgl. Kolozs, S. 71
3 vgl. Edwein, S. 275
4 Pfeiffer 1916, S. 2
5,6 Pfeiffer 1930, S. 360
7 P. Wolff, Paderborner Diözesanprozess, 1944, vgl. Schneble, S. 3
8,11,15–18,20–23 Wolff, Erinnerungen
9 vgl. Chronik des Marien-Kollegs in Freiburg (Schweiz), 1915, S. 309, ASA, asa-09.1.7, vgl. Schneble, S. 2
10,12,13 Brief von P. Wolff an P. Rast, 25.8.1966, in van Meijl, S. 43 f., S. 41, Fn. 33
14 Brief P. Wolff an P. Dürr, 7.2.1962, in van Meijl, S. 44
19 Dieses Wort wurde nach erneutem Hören der Tonbandstellen gegenüber früheren Transkriptionen korrigiert.
24 P. Ansbert Schilp SDS, Paderborner Diözesanprozess, 1943, in van Meijl, S. 69
Bildinformation
- Ehemaliges Kolleg in Freiburg/Schweiz, Foto: 2019
- P. Tharsitius Wolff SDS
- P. Franziskus Jordan, Rom, 7. Mai 1915, auf der Terrasse des Mutterhauses, aufgenommen vor seiner durch den Ersten Weltkrieg erzwungenen Ausreise aus Rom
- P. Ansbert Schilp SDS
Bildnachweis
- P. Peter van Meijl SDS, 2019
- Annales S.D.S., Vol. IX, Nr. 1, 1971, S. 38
- Wien I, St. Michael, Archiv der Österreichischen Pro-Provinz der Salvatorianer (asa), csa-01.14.22
- Fotosammlung im Generalatsarchiv, Rom
Literatur
- P. Pankratius Pfeiffer SDS, Salvatorianer Chronik, 1. Jhg., Freiburg/Schweiz, 1.1.1916
- P. Pankratius Pfeiffer SDS, P. Franziskus Maria vom Kreuze Jordan, Rom 1930
- P. Tharsitius Wolff SDS, Erinnerungen, nach der Tonbandabschrift durch P. Theo Janssen, um 1965, S. 50 ff., APS, I, 351, 2
- P. Alfred Schneble SDS, Historica S.D.S., Nr. 100, Kolumbien 1976
- P. Timotheus Edwein, Geistliches Tagebuch (1894–1918), Teil II, Rom 1981
- P. Bernward Meisterjahn SDS, Letzte Lebensjahre Pater Jordans (DSS XVIII), Rom 2008
- P. Peter van Meijl SDS, Wenn das Gehen kommt, Wien 2014
- Martin Kolozs, Alles für den Heiland. Lebensbild des seligen Paters Franziskus Jordan, Wien 2021
Dieser Artikel ist veröffentlicht in: die Salvatorianer, 1-2021, S. 18-21