Eine Provinz vergeht, eine andere entsteht
Häuser aufzulassen, Wirkungsfelder zu ändern und dadurch mobil zu bleiben war stets Teil der salvatorianischen Geschichte in Österreich. Seit Errichtung der Provinz im Jahr 1923 mussten sich die Salvatorianer von sechs Kollegien auf österreichischem Boden trennen.1 Im Jahr 2016 werden sie zusätzlich die Kollegien Kaisermühlen in Wien und Salvator in Graz verlassen und damit ihr Wirken auf den Raum Wien und Niederösterreich konzentrieren. Das Kolleg Temesvár-Elisabetin in Rumänien bleibt weiterhin der österreichischen Einheit erhalten.
Text: Robert Passini
Das Schließen oder Übergeben von Niederlassungen ist nicht neu, im Gegenteil, die hier stattfindende Zentralisierung erinnert an eine Zeit, in der politische Verhältnisse zu Zusammenlegungen von ganzen salvatorianischen Verwaltungseinheiten (Provinzen) führten. Der Erste Weltkrieg hat nicht nur Europa umgekrempelt, sondern auch die im Jahr 1908 gegründete österreichisch-ungarische Provinz infrage gestellt.2 So schien eine Zwischenlösung bis zum nächsten Generalkapitel ratsam zu sein: Die Kollegien der österreichisch-ungarischen sowie der latino-amerikanischen Provinz wurden direkt dem Generalat unterstellt.3
Die österreichisch-ungarische Provinz wird aufgelöst
Pater Jordan war überzeugt: „Ein einziger Mensch, vom Eifer des Glaubens entbrannt, genügt, um ein ganzes Volk zu bessern.“4 In der österreichischen Geschichte ist so ein Mensch zu finden, ein Salvatorianerpater. Er ermöglichte die Wiedererrichtung einer Provinz auf österreichischem Boden: Pater Theophilus Muth.
In seiner Personalkartei ist zu lesen: „Er war ein unermüdlicher, stiller aber stetiger Arbeiter im Weinberge Gottes. […] Für die Provinz leistete er Großes. Richtete die Provinz wieder auf durch die Übernahme der Barnabitenhäuser, sorgte für ein Studentat in Graz, kaufte das große Objekt in Gurk. Für die Mitbrüder war er ein Vater, für viele ein guter Berater.“5 In den Mitteilungen der Salvatorianer aus dem Jahr 1958 ist über Muth zu erfahren: „Er wirkte als Seelsorger in Wien und wurde vom 2. Generalkapitel zum 1. Generalkonsultor gewählt. 1911 legte er dieses Amt nieder und kehrte nach Wien zurück, wo er sich größte Hochachtung bei der geistlichen und weltlichen Behörde erwarb und wohl auch beim Volk.“6
Pater Theophilus war Pfarrverweser in Kaisermühlen in Wien, als das 4. Generalkapitel vom 12. bis zum 30. September 1921 in Rom tagte. Es müssen spannungsgeladene Diskussionen über die Zukunft der österreichisch-ungarischen Provinz geführt worden sein. In den Annales SDS vom 1. November 1921 wird diesbezüglich berichtet: „Es sei unmöglich, diese [Provinz] in ihrer früheren Form aufrecht zu halten. Die Kollegien in Meseritsch, Hussowitz, Jägerndorf und Trzebinia wünschten […] direkt unter dem Generalate zu stehen, das Temesvárer Kolleg […] den Anschluß an die deutsche Provinz, das Meraner Kolleg liege heute in Italien, es blieben also eigentlich nur die zwei Wiener Häuser mit sehr reduziertem Personalstand und das Kolleg auf dem Hamberg - ob man mit diesen drei Häusern eine Österreichische Provinz bilden solle?“7
Nach reichlichen Überlegungen entschied sich das 4. Generalkapitel, die genannten drei Häuser und das Kolleg in Temesvár an die deutsche Provinz anzugliedern. „Dabei wurde aber der Plan nicht aufgegeben, wenn die Verhältnisse es einmal gestatteten, eine österreichische […] Provinz zu errichten; in diesem Falle würden die besagten Häuser zur österreichischen […] Provinz kommen.“8 Das Generalkapitel regte außerdem an, „einen Commissarius mit dem Sitze in Wien aufzustellen, der bei den Behörden die Interessen der österreichischen Häuser vertrete.“9
Dieser Empfehlung ging das Generalat nach und wählte Pater Theophilus Muth. Dieser schrieb rückblickend im Jahr 1931: „Doch bald zeigte sich, daß auch für die österreichischen Häuser eine gewisse Selbständigkeit wünschenswert sei, und so wurde denn für die beiden Wiener Häuser und Hamberg am 16. Februar 1922 ein eigener Kommissär bestellt.“10
Ein kluger Schachzug wird ausgeführt
Wer die Briefe von Generaloberer Pater Pancratius Pfeiffer an Muth liest11, wird zweierlei feststellen: Erstens schien Pater Pancratius die Wahl eines eigens für die österreichischen Häuser Zuständigen ein großes Anliegen gewesen zu sein. Es war schon Jahre zuvor für ihn als Generalprokurator eine Erleichterung gewesen, als das Generalkapitel 1908 die Gesellschaft in vier Provinzen eingeteilt hatte, da diese nun finanziell für ihre Häuser selbst zuständig waren.12 Zweitens hatte er großes Vertrauen in Pater Theophilus.
Mit der Empfehlung des Generalkapitels 1921, einen Commissarius zu ernennen, und der Ermutigung von Pfeiffer, dies auch in die Praxis umzusetzen, wurde ein vorausschauender, kluger Schachzug ausgeführt. Denn offiziell waren zwar die österreichischen Häuser der deutschen Provinz zugehörig, durch die Ernennung des Kommissärs jedoch entstand innerhalb der deutschen Provinz eine eigene Einheit. So konnten die Häuser in Wien und Oberösterreich wieder selbst verwaltet und der Organisationsaufwand gemildert werden. Es hatte den Anschein, als existiere bereits eine österreichische Provinz.
Die österreichische Provinz wird gegründet
„Andere werden kommen und unserer Leiden eingedenk sein und weiterarbeiten“13 Diese Worte der Hoffnung, die Pater Jordan kurz vor seinem Tod im September 1918 aussprach, sollten sich vier Jahre später erfüllen. Der Orden der Barnabiten trat am 19. Oktober 1922 an Pater Pancratius Pfeiffer mit dem Angebot heran, ihre Wiener Niederlassungen zu übernehmen. „Es fehle ihnen an Leuten und die dortigen Kräfte hätten den Ordensgeist verloren“14, schrieb Pfeiffer an Muth. Nach intensiven Verhandlungen mit den Barnabitenpatres und den Behörden15 fand 1923 die Übernahme sämtlicher Barnabitengüter in Österreich statt16.
Auf einem losen Blatt notierte Pater Pancratius: „Es würde vielleicht die Begeisterung etwas wecken, wenn wir im Falle der Übernahme alsogleich eine österreichische Provinz errichteten?“17 Er erkannte diese Gelegenheit und nahm sie wahr. Da nun mehr Personal notwendig wurde und die Verwaltung durch eine eigene Provinz sinnvoll erschien, gründete das Generalat am 23. Mai 1923 die österreichische Provinz. Als erster Provinzial dieser neuen Provinz wurde Pater Theophilus Muth ernannt, der 16 Jahre lang bis zu seinem Tod am 17. Juni 1939 dieses Amt innehatte. Der Sitz des Provinzials wurde von Favoriten nach Sankt Michael, vom Stadtrand mitten ins Zentrum Wiens verlegt, wo er sich noch heute befindet.
Conclusio
Pater Jordan’s Worte in seinem Geistlichen Tagebuch vom 14.8.1891 waren in der Person Theophilus Muth erfüllt. Ein starker Wille, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, nachhaltig zu handeln – Eigenschaften, die Pater Pancratius Pfeiffer besaß – und nicht zuletzt auch Glück und Vorsehung spielten eine entscheidende Rolle, um die für nicht möglich gehaltene Idee der Wiedererrichtung einer österreichischen Provinz doch in die Tat umzusetzen.
Die Geschichte lehrt uns, dass Gründungen in Zeiten der Krise stattfinden. Krísis bedeutet Entscheidung, entscheidende Wendung. So steht die österreichische Pro-Provinz auch jetzt vor einer neuen Wende. Es ist zu hoffen, dass sie durch die Zentralisierung neue Kraft schöpfen und Begeisterung für die Zukunft wecken wird.
1 1982: Hamberg in OÖ / 1996: Braunau in OÖ / 1997: Mariahilf in Wien / 2007: Lindweg in Graz / 2008: Gurk in Kärnten / 2015: Favoriten in Wien
2 Vgl. Annales Societatis Divini Salvatoris [SDS], Vol. II, Teil 1, Nr. 2, Freiburg/Schweiz, 1. März 1920, S. 21.
3 Vgl. Annales SDS, Vol. II, Teil 1, Nr. 3, Rom, 1. November 1920, S. 48.
4 Pater Jordan, Geistliches Tagebuch, I, S. 200, am 14.8.1891.
5 Salvatorianisches Provinzarchiv Österreich (asa), Personalkartei der österreichischen Provinz.
6 Mitteilungen der Salvatorianer, Nr. 11, Wien, November 1958, S. 12.
7 Annales SDS, Vol. II, Teil 1, Nr. 6, Rom, 1. November 1921, S. 96f.
8 Ders., S. 97.
9 Ebd.
10 [Pater Theophilus Muth,] Die Salvatorianer, Gedenkblätter zu ihrem fünfzigjährigen Bestand 1881-1931, Wien 1931, S. 64. Vgl. Annales SDS, Vol. II, Teil 2, Nr. 2, Rom, 1. Juli 1922, S. 13.
11 Salvatorianisches Provinzarchiv Österreich (asa).
12 Vgl. Pater Lukas Klose SDS, P. Pancratius Pfeiffer, der zweite Generalsuperior der Gesellschaft des Göttlichen Heilandes (Salvatorianer) 1872-1945, Rom, 1951, S. 98 in Documenta & Studia Salvatoriana, Tomus III (DSS III), In memoriam P. Pancratius Pfeiffer, II. Superior Generalis SDS 1872-1945, Rom, 1972.
13 Worte von Pater Jordan, notiert von Pater Pancratius Pfeiffer, Tafers/CH, 3.9.1918, in Pater Timotheus Edwein, DSS XXI, Preces Salvatorianae (1880-1962), Rom, 1997, Nr. 1.1.3.30, S. 26.
14 Brief von Pater Pancratius Pfeiffer, Rom, an Pater Theophilus Muth, Wien, 19.10.1922, zitiert nach Pater Peter van Meijl, Bemüht euch um das Wohl der Stadt – Wie die Salvatorianer im Jahre 1923 von der Peripherie in das Zentrum Wiens kamen, Wien, 2008, S. 7.
15 Vgl. Pater Peter van Meijl, Bemüht euch um das Wohl der Stadt, S. 12ff.
16 Es handelte sich um die Kollegien Sankt Michael und Mariahilf in Wien sowie Margarethen am Moos und Mistelbach in Niederösterreich mit allen dazugehörigen Pfarreien und Gütern.
17 Notizblatt 1923, zitiert nach Pater Peter van Meijl, Bemüht euch um das Wohl der Stadt, S. 17.
Bildinformation
- Pater Theophilus Muth SDS
- 4. Generalkapitel, September 1921. Die Sitzungen tagten im großen Bibliotheksaal des Mutterhauses in Rom.
- 4. Generalkapitel, September 1921. Untere Reihe, sitzend, 4. von links: P. Pankratius Pfeiffer SDS
Bildnachweis
- Archiv der österreichischen Pro-Provinz der Salvatorianer (asa), Personalakt
- Annales SDS, Vol. II, Teil 1, Nr. 6, Rom, 1. November 1921, S. 97
- Bednarz, Julian Fr., Our General Chapters (Membership and Official Photographs), Rom 1999, Fotoseite 4
Literatur
- Annales Societatis Divini Salvatoris [SDS], Vol. II, Teil 1, Nr. 2, Freiburg/Schweiz, 1. März 1920
- Ders., Nr. 3, Rom, 1. November 1920
- Ders., Nr. 6, Rom, 1. November 1921
- Ders., Teil 2, Nr. 2, Rom, 1. Juli 1922
- Mitteilungen der Salvatorianer, Nr. 11, Wien, November 1958
- [Pater Theophilus Muth,] Die Salvatorianer, Gedenkblätter zu ihrem fünfzigjährigen Bestand 1881-1931, Wien 1931
- Pater Lukas Klose SDS, P. Pancratius Pfeiffer, der zweite Generalsuperior der Gesellschaft des Göttlichen Heilandes (Salvatorianer) 1872-1945, Rom 1951, in: Documenta & Studia Salvatoriana, Tomus III (DSS III), In memoriam P. Pancratius Pfeiffer, II. Superior Generalis SDS 1872-1945, Rom 1972
- Pater Timotheus Edwein, DSS XXI, Preces Salvatorianae (1880-1962), Rom 1997
- Pater Peter van Meijl, Bemüht euch um das Wohl der Stadt – Wie die Salvatorianer im Jahre 1923 von der Peripherie in das Zentrum Wiens kamen, Wien 2008
Dieser Artikel ist veröffentlicht in: SDS-Mitteilungen, 2016-1, S. 24–27