P. Aloys Scheidl
Im Juni 2016 wurde in Wien im Rahmen einer Jubiläumsfeier eine Goldmedaille geprägt, die das Porträt eines Mannes zeigt, der vor beinahe 48 Jahren verstorben ist: Die Umrandung trägt den Schriftzug „PfadfinderInnen Gruppe 46 Kaisermühlen Pater Scheidl“. Warum widmen junge Menschen des 21. Jahrhunderts diesem Mann eine Medaille, singen ihm Loblieder und greifen ihn heute noch als Vorbild auf? Wer war P. Aloys Scheidl, nach dem die Pfadfindergruppe benannt wurde?
Text: Robert Passini
Kaisermühlen – ein Straßendorf
Der Stadtteil Kaisermühlen wurde als sogenannte „Hungerinsel“ bezeichnet, ein Armen- und Arbeiterviertel. Die Menschen mussten weit und lange zur Arbeit pendeln. Während die Eltern sehr früh von zu Hause wegfuhren und erst spät wieder heimkamen, waren die nicht mehr schulpflichtigen Kinder alleine. Es existierten jedoch zahlreiche Jugendvereine und Bünde. Beinahe jeder Jugendliche war in einem Verein organisiert. In den Jahren 1917/18 wurde aus den über 650 österreichischen Vereinen eine einheitliche katholische Jugendorganisation mit dem Namen „Reichsbund“ gegründet. Ziel dieser Vereinigung war, „eine lebensfrohe, glaubensstarke Jugend heranzubilden“. Ähnliches geschah mit mehreren katholischen Pfadfindergruppen. Sie wurden 1926 zum „Österreichischen Pfadfinderkorps St. Georg“ zusammengefasst.
Im Juni 2016 wurde in Wien im Rahmen einer
Jubiläumsfeier eine Goldmedaille geprägt,
die das Porträt von P. Aloys Scheidl trägt.
Außerordentliche Seelsorge
Salvatorianer bezeichnen sich – darauf weist ihr Gründer Pater Jordan hin – als Seelsorger in allen denkbaren, noch so „außergewöhnlichen“ Bereichen: Sie versuchen, nicht nur vom Pfarrbüro aus, in Sprechstunden und in der Liturgie, sondern auch durch „außerordentliche Seelsorge“, Jugend- und Familienpastoral, durch Exerzitien und Vorträge, alle Menschen zu erreichen. Mit „außerordentlicher Seelsorge“ ist jene Arbeit gemeint, die sich abseits der gewöhnlichen Aufgaben eines Pfarrers bewegt. In diesem Bereich war P. Aloys Scheidl ein Salvatorianer, der seinen Gründer sehr ernst genommen hat.
„Er verstand es, an alle heranzukommen“
Der Ordensmann wurde 1928 in das Pfarrgebiet Kaisermühlen versetzt. Er war damals 30 Jahre alt. Seit seiner Priesterweihe 1921 hatte er Erfahrungen als Kaplan, Lehrer und Exerzitienleiter in verschiedenen salvatorianischen Pfarren und Kollegien gesammelt. In Kaisermühlen fand seine Berufung, die Jugendseelsorge, volle Entfaltung. Er war nicht der einzige, wohl aber der talentierteste Pater in diesem Bereich, wie es Zeitungsartikel, Bücher und Nachrufe bezeugen.
Scheidl hat die „Straßenkinder“ von Kaisermühlen aufgefangen und ihnen Strukturen gegeben. Es wird erzählt, dass er in die Wohnungen der Familien ging, um Streit zu schlichten. Sein Ziel war, den Familien ein Miteinander und Wertschätzung beizubringen. Der Mann mit dem runden Gesicht, der kaum größer als die Jugendlichen selbst war, kümmerte sich mit vollem Einsatz um sie. In dieser Zeit wurde er auch der Kurat der jungen Pfadfindergruppe Kaisermühlen, in der er die Natur mit religiösem Leben verband.
Schon vor seiner Versetzung nach Kaisermühlen gewann der junge Pater die Aufmerksamkeit von Jugendlichen mit damals neuen Methoden. Im Tätigkeitsbericht des „Reichsbundes“ ist zu lesen: „Da hat unser Pater Scheidl etwas ganz Neues eingeführt […]. 1926 versammelte er die Industriejugend im Kollegium St. Michael in der Habsburgergasse zu den ersten Einkehrtagen. […] Unten, in den Katakomben des Kollegiums, hielt er die ersten Vorträge, die ihre Wirkung nicht verfehlten.“ Er machte ein Gartenhaus zur Kapelle und zum Speisesaal und schaffte es so, die Jugend dieser Zeit, der diese neue Form entsprach, zu begeistern. Das blieb nicht lange geheim. Die Zahl der Teilnehmer des „Reichsbundes“ ist bereits drei Jahre später, 1929, auf das Sechsfache angestiegen: Er zählte 50.000 Mitglieder. Scheidl hielt Exerzitien und Vorträge vor bis zu 90 Menschen.
Neben all diesem Wirken in der Praxis, den anschaulichen Vorträgen in der Natur, Filmvorführungen und -besprechungen gründete und leitete Scheidl auch die Zeitschriften „Der Pfadfinder“ und „Kuratenblätter“ und brachte ein Pfadfindergebetbuch heraus. Er „verwuchs“ immer mehr mit dem „Reichsbund“ und wurde zunächst dessen geistlicher Beirat, dann Jugendseelsorger und Ende 1932 Diözesanpräses. Zusätzlich unterrichtete er an einer Gewerbeschule, was in der politisch und religiös aufgewühlten Zeit sicher keine leichte Aufgabe war.
Von Jugend- zu Familienseelsorge
Nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich 1938 wurde die katholische Jugendarbeit abgebrochen und P. Aloys zum Pfarrer von Kaisermühlen ernannt. Seine Jugendlichen, um die er sich über so viele Jahre gekümmert hatte, waren nun älter geworden und in ein heiratsfähiges Alter gekommen. Scheidl wurde zum Leiter der „Hauptstelle von Ehe und Familie“ ernannt und sprach 1949 als Familienseelsorger das heutige „Katholische Jugendwerk“ auf die Familienthematik an. Die erste Reaktion des KJ war: „Was haben wir denn mit Ehe und Familie zu tun?“ P. Aloys konfrontierte sie mit der Realität: „Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass die meisten Burschen und Mädchen […] einen Beruf ergreifen, […] heiraten und eine Familie gründen wollen? Dafür findet man im Programm […] des KJ nur allgemeine Sprüche und nette Worte – aber sonst nichts!“
Er schlug für die Ehevorbereitung vor, dass sie am besten beginne, bevor sich Paare finden. „Da biologische, psychologische, pädagogische, rechtliche und theologische Komponenten eine Rolle spielen, sollten ein Arzt, ein Psychologe, ein Erzieher, ein Jurist und ein Priester“ eingebunden werden. Die damals vorherrschende Geschlechtertrennung bei der Ehevorbereitung tat Scheidl als „Unsinn“ ab. Alles, was den von ihm gegründeten „Katholischen Familienverband Österreich“ ausmacht, so deren Zeitschrift „Ehe und Familie“ von 1968, hätte ohne ihn nie stattgefunden.
„Unermüdlich“ ist die Eigenschaft, die die Person Scheidl am besten beschreibt. Denn neben den vielen Initiativen leitete er weiterhin die Pfarre Kaisermühlen. Erst 1952, als er die Familienseelsorge auf ganz Österreich ausdehnte, gab er die Pfarrtätigkeit auf.
Scheidls „letztes Apostolat“
1957 wurde P. Aloys erneut versetzt: In Pitten in Niederösterreich wirkte er als „Messeleser“ bei den Salvatorianerinnnen. Doch seine Gesundheit wurde immer schwächer. Die letzten sieben Jahre seines Lebens verbrachte er im Krankenbett, bis er 1969 verstarb.
Vor etwa 100 Jahren sprach Pater Jordan einen Tag vor seinem Tod vom „Apostolat des Leidens“. Dieses Apostolat hat auch P. Aloys durchlebt und geduldig ertragen. Im Nachruf in den „Annales SDS“ von 1971 ist zu lesen: „Bis zuletzt war er von erstaunlicher Geduld, immer heiter und zufrieden, anspruchslos und lebhaft, interessiert an dem Geschehen in der Welt, in der Kirche und in unserer Ordensgesellschaft.“
Fazit
In Zeiten des Krieges, von Nöten und Ausbeutung ist vor allem „außerordentliche Seelsorge“ wichtig und aktueller denn je. Durch die Erinnerung an Menschen wie P. Scheidl und ihr Wirken wird die Hoffnung gestärkt, dass Missstände und menschenunwürdige Zustände auf der Welt wie Menschenhandel, Kinderarbeit und Ausbeutung überwunden werden können. Die jungen Menschen des 21. Jahrhunderts können von P. Aloys und seinem Wirken ebenso lernen wie Geistliche und „außerordentliche Seelsorger“.
Bildinformation
- Im Juni 2016 wurde in Wien im Rahmen einer Jubiläumsfeier eine Goldmedaille geprägt, die das Porträt von P. Aloys Scheidl trägt.
- P. Aloys Scheidl SDS
Bildnachweis
Archiv der österreichischen Pro-Provinz der Salvatorianer (asa)
Literatur
- Muth, Theophilus, Die Salvatorianer, Wien 1931, S. 146 ff.
- Ehe und Familie, Jhg. II, Nr. 1, Wien, März 1968, S. 30
- SDS-Mitteilungen, Nr. 32, Wien, Juni 1970, S. 22 f.
- Annales SDS, Vol. VIII, Nr. 5, Rom, Oktober 1970, S. 171
- Jahrbuch 1979 für die Erzdiözese Wien, Wien 1979, S. 148 ff.
- Kiebele u.a. (Hrsg.), Die Salvatorianer, Rom 1981, S. 320 ff. und S. 323 f.
- Exiller, Franz, Die Geschichte der Salvatorianer bis zum Jahre 1938, Graz 1984, S. 59 f.
- Mitteilungen des Dokumentationsarchivs des Katholischen Jugendwerkes Österreich, Nr. 73, Wien, März 2009, S. 4 ff.
Dieser Artikel ist veröffentlicht in: die Salvatorianer, 1-2017, S. 16-17