Unter Zugzwang
Der Apostolische Visitator P. Antonio Intreccialagli OCD, der seit 1894 Pater Franziskus Jordan und sein junges Werk prüfte, hegte starke Bedenken gegen die Ordensgemeinschaft und ihre Führung. Er forderte ein Generalkapitel ein, bei dem sich der Gründer als Generaloberer wählen lassen musste. Was bedeutete das für diesen? Wie waren seine Reaktionen, wurde er dadurch verunsichert? Ein Abriss der SDS-Geschichte um das I. Generalkapitel 1902.
Text: Robert Passini
Das I. Generalkapitel der Salvatorianer wurde für Oktober 1902 festgelegt, über 20 Jahre nach der Gründung des Ordens. Kurz davor besuchte P. Jordan auf einer Visitationsreise durch Europa jeden Mitbruder, um die Stimmung für das Kapitel zu erfahren. Er reiste von Rom nach Belgien, Österreich, Mähren, Galizien und in die Schweiz. Aus Briefen von dieser Reise an seinen engsten Vertrauten, P. Bonaventura Lüthen, wird P. Jordans Gemütszustand deutlich. Er blickte mit Sorge auf den schwindenden Glauben seiner Mitbrüder an den Fortbestand der Gesellschaft.
Aus Lochau schrieb er: „Die Leitung der Gesellschaft fällt mir schwer; ich leide […] Leider wirken die Sachen nachteilig auf mein Gemüt und auf die Gesundheit“, und weiter aus Fribourg: „[In der Ordens-]Congregation habe jemand gesagt, das Generalkapitel sei die letzte Hoffnung oder das einzige Rettungsmittel für die Gesellschaft. […] Ich habe vieles erfahren über die Stimmung betr. Generalkapitel, doch ist es besser, es nicht zu Papier zu bringen.“1
Diese Visitationsreise war für P. Jordan nicht nur physisch, sondern auch psychisch belastend. „Überall galt es, für die Oberen und Mitbrüder Zeit zu haben, für austrittswillige Mitbrüder, die sich in der Gemeinschaft nicht wohlfühlten, ein neues Nest zu bereiten.“2 P. Jordan versuchte dabei stets, die Vision und Pläne seiner Gesellschaft zu erhalten und zu stärken. Im Geistlichen Tagebuch hielt er am 5.8.1902 fest: „Leide für Christus! Verzage nicht!“3
Dass P. Jordan entschieden dagegen war, sich auf dem bevorstehenden Generalkapitel zum Generalsuperior wählen zu lassen, belegt die „Jägerndorfer Chronik“ aus dem österreichischen Provinzarchiv in Wien; sie hinterlässt ein ungewöhnliches Bild von P. Jordan während seiner Visitation in Meran 1902: „Ich lasse mich nicht wählen, höchstens pro forma, per acclamationem [durch Beifall]! […] Der heilige Ignatius hatte Priester, welche gleichsam Mitgründer waren. Ich aber habe Sie u. andere ausbilden lassen; u. ich soll mich jetzt von Ihnen wählen lassen? Nein! Es wird nicht geschehen! […] Wer gegen mich sein wird, den werde ich moralisch totschlagen!“4 Die Gründe für P. Jordans harte Worte sind nicht erforscht. Er hinterließ eine „Stimme der Entrüstung und Verurteilung“ und eine „furchtbare Enttäuschung […], so dass einige sich zuflüsterten, er sei aus Furcht vor einer etwaigen Nichtwahl abnormal, überschnappt“5.
P. Jordan war 54 Jahre alt und fühlte sich mit sich und der Ordensgemeinschaft nicht wohl.6 Sie hatte immer noch keine offizielle Anerkennung der Kirche, stattdessen saß P. Jordan ein Apostolischer Visitator im Nacken. Das Leiten fiel ihm immer schwerer, und er hatte Probleme, rasch Entscheidungen zu treffen, wenn dies nötig war. Unzufriedenheit machte sich vor allem bei jüngeren Mitbrüdern breit. Wird P. Jordans zunehmende Nervosität berücksichtigt, ist seine Reaktion in Meran zumindest nachvollziehbar. Immerhin versuchte er, seine Gründung nicht zu verlieren, sei es durch die Wahl eines anderen Generaloberen oder durch vermehrte Austritte und steigende Schulden.
Wieder in Rom widmete sich P. Jordan dennoch der Vorbereitung des Generalkapitels. Er wollte das Amt für einen Nachfolger so gut wie möglich hinterlassen, damit der Geist seiner Gründung erhalten bliebe. Und doch hoffte er, dass „das Generalkapitel den salvatorianischen Ordensgeist stärke“7. Die von ihm ausgearbeiteten Vorschläge und Themen waren vor allem das Gebetsleben und die Ausbildung des Ordensnachwuchses (Erziehung, niedere und höheren Studien).
Am 5. Oktober 1902 begann das Generalkapitel. Anders als befürchtet, wurde P. Jordan einstimmig zum Generaloberen gewählt. Auch die bisherigen Konsultoren wurden wiedergewählt. Neu war die Ernennung des Generalökonomen, P. Pankratius Pfeiffer, der spätere Nachfolger von P. Jordan als Generalsuperior. Die Sachfragen und Satzungen zum Gebetsleben und zur Ordensdisziplin wurden besprochen und in Verordnungen niedergeschrieben. Länger widmeten sich die Kapitulare den Themen Erziehung und Studien, konnten jedoch keine klaren Ergebnisse erzielen8. Sie überließen die Lösungsfindung dieser Themen dem neuen Generalat, dem eine Kommission für Studien zur Seite gestellt wurde. Weder die wirtschaftlich heikle Lage der Gesellschaft, noch Probleme in der Mission Assam oder einzelner Kollegien wurden im knapp gehaltenen Protokoll erwähnt. P. Jordan beendete das Kapitel nach zwei Wochen am 19. Oktober 1902.
Der Apostolische Visitator war sehr zufrieden. Für P. Jordan selbst jedoch bedeutete es eine große Veränderung. War er bislang als Ordensgründer „kirchlich anerkannter höchster Oberer“9, so wurde er durch die neuen kirchenrechtlichen Normen 1901 ein gewählter Generalsuperior, der mit seinem Rat den Orden zu leiten hatte und sich sechs Jahre später erneut einer Wahl stellen musste. Die Vorbereitungen zum Generalkapitel und die Visitationsreise schienen sich zwar gelohnt zu haben, doch die eigentlichen Herausforderungen lagen noch vor ihm. Die Gesellschaft wuchs, aber der Unmut mancher vor allem junger Mitbrüder über den Führungsstil des Generalsuperiors ebenfalls. 1906 wurde P. Jordans Ordensgemeinschaft in mehreren deutschen Zeitungen heftig kritisiert. Auch die oben erwähnten Aussagen in Meran waren dabei ein Thema.
P. Jordan erlebte nach dem I. Generalkapitel noch zwei weitere, über die berichtet werden wird.
1 Jordan an Lüthen, Lochau, 3.9.1902, und Fribourg, 5.9.1902, in DSS X, Nr. 617 und 619, zitiert in van Meijl 2014, S. 94 f.
2 Edwein, DSS XVI.I, S. 71
3GT II/37, zitiert in Edwein, DSS XVI.I, S. 71
4+5Jägerndorfer Chronik, asa-03.7.11, geschrieben zwischen 19.1. und 27.2.1904
6 Vgl. van Meijl 2014, S. 85
7-9 Edwein, DSS XVI.I, S. 73, S. 345, S. 76
Bildinformation
Die Teilnehmer des I. Generalkapitels im Oktober 1902
1. Reihe Mitte: Pater Franziskus Jordan
Bildnachweis
Archiv der Österreichischen Pro-Provinz der Salvatorianer (asa), asa-01.2.1.11, Peda-Serie Nr. 11a
Literatur
- P. Peter van Meijl SDS, Wenn das Gehen kommt, The Best Kunstverlag, Wien 2014
- P. Peter van Meijl SDS, Martin Kolozs, Das Gründungscharisma von P. Franziskus Jordan, The Best Kunstverlag, Wien 2018
- P. Timotheus Edwein SDS, Franziskus M. vom Kreuze Jordan (Johann Baptist). Der Gründer und sein Werk in der Bewährung: Ausbreitung und Krise 1898-1906, 1. Halbband, in: Documenta et Studia Salvatoriana (DSS), Tomus XVI.I, Salvatorverlag Zug, 1985
Dieser Artikel ist veröffentlicht in: die Salvatorianer, 3-2018, S. 16-17