Pater Jordan in der Defensive
Christus als den Heiland der Welt verkünden, Ordensberufe fördern, Salvatorianer zu guten Ordensmännern ausbilden – das waren Pater Jordans dringlichste und oberste Ziele. Dem widersprach der Ruf seiner Mitbrüder nach besserer Organisation, mehr Personal und mehr Geld. Auf dem Weg zum Zweiten Generalkapitel 1908 sollte sich der Wertekonflikt zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft des Göttlichen Heilandes und ihrem Gründer Pater Jordan derart steigern, dass auch vor offenen Angriffen nicht haltgemacht wurde.
Text: Robert Passini
In den ersten beiden Dekaden der Gesellschaft (1881-1901) wuchs die Zahl der Mitglieder stark an. Die meisten Mitglieder waren Deutschsprachige, welche die Möglichkeit auf Studien in Rom sehr zum Ordenseintritt motiviert hatte. Weltweit wurden neue Häuser errichtet, um die Patres unterzubringen. Dabei wurden große Schulden gemacht. Hinzu kam, dass die Gründung eines Hauses im Ausland fähiges Personal in Führungspositionen und im Fall von Studienhäusern zusätzlich gut geschulte Lehrer benötigte. Aber weder stand genug Geld zur Verfügung, noch waren längere Ausbildungszeiten möglich. Die Hausoberen waren trotz ihres Einsatzes überfordert und wandten sich an das Generalat in Rom. Diesem, allen voran Pater Jordan als Gründer und gewähltem Oberen, wurde vorgeworfen, die Probleme nicht in den Griff zu bekommen.
Pater Jordan hatte wie jeder Generalobere mehrere Berater, mit denen er die wichtigsten Entscheidungen besprach. Sein engster und treuester Vertrauter in diesem Generalat war Pater Bonaventura Lüthen. Dieser musste viele der Hilferufe aufgrund der finanziellen und personellen Situation der Gesellschaft negativ beantworten. Das erzeugte immer größere Unzufriedenheit bei den Mitbrüdern, vor allem bei den Hausoberen, die sich mit ihren Problemen allein gelassen fühlten. Als letzte Rettung der Gesellschaft sahen sie deshalb das Auswechseln des in ihren Augen unfähigen Generalates. Obwohl die Salvatorianer im Jahre 1905 die erste Päpstliche Approbation erhielten, eine vorläufige Anerkennung des Ordens als kirchliche Einrichtung, auf welche Pater Jordan über zwei Jahrzehnte lang hingearbeitet hatte, hatte die Gesellschaft mit zahlreichen Austritten zu kämpfen.
Öffentliche Demütigung
Die Unzufriedenheit der Mitglieder gipfelte 1906 in einer Artikelserie, die in einem Münchner Wochenblatt erschien. Die Leser, welche die Salvatorianer finanziell unterstützten, sollten darin über die Missstände in der Ordensgemeinschaft aufgeklärt werden. Vor allem Pater Jordan wurde unehrenhaft angegriffen, sowie das Generalat, das nicht wisse, was es wolle. Über die Geldprobleme wurde auf persönliche und hetzerische Art geschrieben und der Mangel an Ausbildungsqualität angeprangert. Die Mission sei eine „Milchkuh“, da, so der Vorwurf, Gelder in Europa für die Tätigkeit des Ordens in Assam/Indien gesammelt wurden, sie aber nicht dorthin flössen. Die Artikelserie wurde bald darauf in einer bayrischen Tageszeitung knapp zusammengefasst einem noch größeren Publikum zugänglich gemacht. Es wurde das Einschreiten der kirchlichen Behörde gegen die Salvatorianer gefordert, und die Aufnahme der vor allem aus Deutschland stammenden Kandidaten sollte sofort beendet werden. Der ursprüngliche Autor der Artikelserie, P. Gebhard Abele, war ein unzufriedener Salvatorianer, stammte also aus den eigenen Reihen. Pater Jordan sorgte sich, wie die Öffentlichkeit, die Wohltäter und die Bischöfe reagieren würden.
Die Leser waren von dieser Hetzerei wenig beeindruckt. Das größere Übel für den Orden entstand dadurch, dass sich die schon zuvor unzufriedenen Mitbrüder nun in ihrem Unmut bestätigt fühlten. Erst als ein weiterer anonymer Artikel, unterschrieben mit „Mehrere Salvatorianer“, in einer katholischen Tageszeitung in Bayern erschien, schaltete sich auch die Ordensbehörde in Rom ein. Ihr Beweggrund war, weiteren Schaden am Ruf des Ordens und der Kirche im Allgemeinen abzuwenden. Der Apostolische Visitator, P. Antonio Intreccialagli OCD, der seit 1894 die Gesellschaft überwachte, beauftragte Pater Jordan, die Vorwürfe auf Richtigkeit hin zu prüfen. Dabei bewahrheitete sich, dass stark übertrieben und vieles erfunden worden war. Noch im gleichen Jahr stellten die Autoren der Artikel, die aus den drei Studienhäusern Lochau, Hamberg und Meran sowie der Mission Assam stammten, ihre schriftlichen Angriffe ein. Trotzdem verließen nicht wenige Patres die Gesellschaft.
Wie mit Fußfesseln versehen
Der Ruf der Salvatorianer wurde durch die massiven Presseangriffe dennoch kaum beschädigt, vor allem, da Pater Jordan einige Bischöfe auf seiner Seite wusste. Viel ernster war die Unsicherheit, die sich innerhalb der Gesellschaft von nun an ausweitete. Es wurde immer schwieriger, Mitglieder zu finden, die sich als fähige Obere, Missionare oder Lehrende erwiesen.
Um den Schuldenberg abzutragen, erließ der Apostolische Visitator eine Verordnung, nach welcher jede neue Errichtung eines Hauses und die damit verbundenen Kosten von ihm persönlich gutgeheißen werden mussten. Außerdem durften Kandidaten nur noch aufgenommen werden, wenn sie ausreichend Geld zur Verfügung stellten. Dies hatte jedoch einen Schwund an Berufungen zur Folge, was für Pater Jordan ein größeres Übel bedeutete als die Austritte der Jahre 1906/1907. Die Anordnungen waren für ihn wie eine Fußfessel, die er nicht abstreifen konnte. In erster Linie ging es ihm ja um die Ausbildung des Nachwuchses, unabhängig von Herkunft und Stand.
Pater Jordan befand sich im Zwiespalt. Zum einen wollte er gute Salvatorianer heranbilden; dafür fehlten ihm aber Patres für die Ausbildung, weil er Mitbrüder auch in Pfarren und Missionen einsetzte. Denn zum anderen war es Pater Jordan wichtig, die Gesellschaft international auszurichten. Daher konnte er auch die Missionsgebiete nicht vernachlässigen. Die Mission in Assam musste er zum Nachteil der anderen Missionen in Nord- und Südamerika bevorzugen, da die Missionsverantwortlichen in Indien mit Austritten gedroht hatten. Pater Jordans Sorge war, dass sich die Gesellschaft nur noch auf die Erziehungshäuser und auf die lebenskräftigsten Niederlassungen in Europa beschränken würde.
Die Wahl
Obwohl bereits während der Revolte 1906 ein vorzeitiges, außerordentliches Generalkapitel gefordert wurde, um möglichst rasch die Leitung ablösen zu können, fand dieses nicht statt. Erst 1908, nach der offiziellen Amtszeit von sechs Jahren, wurde das Wahlkapitel einberufen. Von diesem erhofften sich die unzufriedenen Mitglieder die Chance auf Veränderung.
Gleich zu Beginn des Kapitels, das beinahe drei Wochen lang tagte (9. bis 29. Oktober 1908), fand die Wahl des Generaloberen statt. Da sich davor die interne Opposition abgesprochen hatte und die Abstimmung geheim geschah, war es einfach, eine Mehrheit der Stimmen gegen Pater Jordan zu bekommen. Beim ersten Durchlauf verlor er, ebenfalls beim zweiten. Aber auch kein anderer Kapitular erhielt die Stimmenmehrheit, die nötig war für das Amt des Generaloberen. Erst beim dritten Wahlgang fiel die entscheidende Mehrheit an Pater Jordan. Es war ein knappes Ergebnis, denn er erhielt nur 18 von 30 Stimmen, das sind drei Stimmen über 50 Prozent der Delegierten.
Nach der Wahl des Generaloberen stand die Wahl des Generalates auf der Agenda. Da Pater Jordan gegen den Wusch mancher Kapitulare nun doch die Leitung der Gesellschaft behielt, wurde Pater Jordans treuester Berater, Pater Bonaventura Lüthen, abgewählt. Er war es, der den Unzufriedenen, die verständlicherweise nach Personal und Geldern riefen, Absagen hatte schreiben müssen. Er war es, der mit dem Ruf nach Einheit und Ordnung in der Zeit der Unsicherheit zu glätten versucht hatte. Er war es, der stets auf Pater Jordans Seite stand. Wenn Pater Jordans Gegner den Gründer selbst nicht „loswerden“ konnten, so schwächte man ihn enorm durch die Nichtwahl von Pater Lüthen. Sein Nachfolger als Konsultor wurde Pater Theophilus Muth aus Wien. Dieser war mit dem Wahlergebnis jedoch nicht einverstanden und kommentierte die Entscheidung: „Wir haben uns (durch diese Wahlen) unsterblich blamiert“1.
Gegen Pater Jordans Willen
Die Gesellschaft sollte in Provinzen eingeteilt werden, um die Leitung der vielen Niederlassungen zu erleichtern. Pater Jordan aber empfand dies als zu früh. Er war prinzipiell für die Strukturierung, zögerte aber: Frühestens in einem Jahr sei dies möglich. Das Generalkapitel beschloss trotzdem, die Gesellschaft in sieben Verwaltungseinheiten zu gliedern. Die Ordensbehörde in Rom erlaubte später nur vier. Eine davon war die österreichisch-ungarische Provinz, deren Leitung in Wien angesiedelt und deren Provinzial Pater Bartholomäus Königsöhr wurde.
Ein weiteres wichtiges Thema auf dem Zweiten Generalkapitel war eine Neuregelung der Studien. Es wurden etwa Reformen gefordert wie die Kürzung der Lehrgänge für Philosophie und Theologie, sowie mehr Neupriester als Lehrende in den Studienhäusern. Diese sollten Matura und weitere Examen nachweisen können. Außerdem wurde über die Länge der Studienjahre diskutiert. Pater Jordan befürchtete einen weiteren Schwund an Neupriestern. Er meinte, weniger Ausbildungsjahre würden ausreichen, wenn die Patres Talent und Fleiß hätten, da mehr Studienjahre auch mehr Lehrkräfte benötigten, die nicht zur Verfügung stünden. Auch in dieser Frage musste Pater Jordan gegenüber den lange erwarteten Reformen nachgeben.
Gleicher Art verliefen die offenen Diskussionen mit Pater Jordan bezüglich der Mission in Assam. Der dortige Apostolische Präfekt, Pater Christophorus Becker, beharrte auf seine bereits vor dem Kapitel angebrachten Forderungen: mehr Personal, drei eigene Prokuren zur Finanzierung und ein Darlehen für die Erbauung eines Missionshauses mit Kirche. Außerdem sollten jährlich zwei Priester auf die Mission vorbereitet werden. Dem bisherigen Generalat und Pater Jordan wurde vorgeworfen, dass sie sich nicht genug um die Mission kümmerten. Doch Pater Jordan betonte die generelle Schwierigkeit, geeignete Patres für die Mission zu finden. Außerdem sei die Gesellschaft keine reine Missionsgesellschaft; 1889 war die Mission Assam in salvatorianische Hände gegeben worden, da Pater Jordan dringend darum gebeten wurde. Niemand sonst hatte sich des verlassenen Gebietes Assam annehmen wollen. So kam es auf dem Generalkapitel 1908 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Pater Becker und Pater Jordan.
Die Mission wurde von den Kapitularen sehr wichtig genommen. Das wusste Pater Becker und nutzte es wohlvorbereitet aus. Das Kapitel beschloss, viele seiner Forderungen entgegen Pater Jordans Wunsch zugunsten der Mission umzusetzen.
Pater Jordan sah sich auf dem Generalkapitel überrumpelt. Er klagte, dass alles viel zu schnell ginge und manche der Kapitulare bessere Beredsamkeit besäßen als er. Er wünschte sich mehr Absprachen mit seinen Vertrauten. Doch auch das war ein großer Kritikpunkt an Pater Jordan: Er brauchte zu viel Zeit für Entscheidungen, es wurde zu wenig gehandelt.
Zuletzt wurde die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft besprochen. Der damalige Generalökonom und spätere Nachfolger Pater Jordans als Generaloberer, Pater Pankratius Pfeiffer, drängte darauf, die kleineren Häuser zu verkaufen, damit die großen Niederlassungen mehr Personal erhalten könnten. So könnten die immensen Schulden gemindert werden, meinte er. Alle seelsorglichen Häuser sollten finanzielle Abgaben an das Generalat richten, die den Studienhäusern zugutekämen. Und durch eine Verlagerung der Philosophie-Studenten und Novizen auf den Hamberg in Oberösterreich könnte das überstrapazierte Mutterhaus in Rom entlastet werden. Pater Pfeiffer schlug außerdem vor, den bislang üblichen Namen der Niederlassungen „Marien-Kolleg“ zu ändern in „Salvatorianer-Kolleg“. Letzter Vorschlag gefiel Pater Jordan nicht, dennoch wurden dieser und die meisten anderen Anträge angenommen und umgesetzt.
Zum Abschluss des Kapitels stellte Pater Jordan alle Kapitulare Papst Pius X. vor, der jeden einzeln herzlich begrüßte. Die Audienz beim Heiligen Vater und dessen Segen und Lob bedeuteten Pater Jordan sehr viel. Er hat diese Audienz sein Leben lang nicht vergessen.
Bewahrung des inneren Geistes
All die Meinungsverschiedenheiten, Diskussionen und der starke Wunsch nach Reformen bestimmten das Zweite Generalkapitel von 1908. Pater Jordan konnte seine Anliegen, vor allem dem Rückgang an Nachwuchs entgegen zu wirken, nicht anbringen, geschweige denn durchsetzen.
Aus seinem Geistlichen Tagebuch, das er sehr persönlich und nur für sich geschrieben hatte, ist seine innere Haltung während des Kapitels bekannt. Er nahm die Reformen hin und plante, in der folgenden Amtsperiode als Generaloberer (1908-1914) dafür zu sorgen, dass die Mitglieder „nicht zu viel äußere Thätigkeit ausüben“2. Immer wieder wandte er sich in seinem Geistlichen Tagebuch an den Herrn und betete um Hilfe und Kraft. Er wollte offen und stark die Gesellschaft des Göttlichen Heilandes weiterführen zur Verbreitung des Glaubens und der Heranbildung guter Ordensleute.
1 P. Pancratius Pfeiffer SDS, De Vita P. Bonaventurae Lüthen SDS, in DSS, III, S. 202, Nr. 123
2 Geistliches Tagebuch, GT II/120
Bildinformation
Das II. Generalkapitel 1908 in Rom
Mittlere Reihe, stehend, von links: 6. (mit Bart) P. Christophorus Becker;
Untere Reihe, sitzend, von links: 3. P. Bonaventura Lüthen, 4. P. Franziskus Jordan, 5. P. Theophilus Muth
Bildnachweis
Archiv der Österreichischen Pro-Provinz der Salvatorianer (asa), asa-01.2.1.16, PEDA-Serie Nr. 16
Literatur
- Pater Pancratius Pfeiffer SDS, Pater Franziskus Maria vom Kreuze Jordan. Gründer und erster Generalsuperior der Gesellschaft des Göttlichen Heilandes, Rom 1930, S. 336-340.
- Pater Timotheus Edwein SDS, Die salvatorianische Krise, in: Franziskus M. vom Kreuze Jordan (Johann Baptist). Der Gründer und sein Werk in der Bewährung: Ausbreitung und Krise 1898-1906, 2. Halbband (=DSS, XVI.II), Rom, Zug, Steinfeld 1985, S. 733-891.
- Pater Timotheus Edwein SDS, Jahre der Prüfung und Anfechtung, in: Franziskus M. vom Kreuze Jordan (Johann Baptist). Der Gründer und sein Werk in der Bewährung: Krise und Reifung 1907-1909, 1. Halbband, (=DSS, XVII.I), Rom, Zug, Steinfeld 1986, S. 7-152.
Dieser Artikel ist in gekürzter Fassung veröffentlicht in: die Salvatorianer, 1-2019, S. 16-17