
„Sie taten ganz geheimnisvoll“
Der zweite Adventsonntag 2020, der Sonntag zwei Tage vor dem 8. Dezember, ist der Sonntag der Boten und der Zeit. In der zweiten Lesung schreibt Petrus: „Beim Herrn ist ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag“ (2 Petr 3, 8-14). In der ersten Lesung (Jes 40, 1-5.9-11) hören wir den ersten Boten „Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste. Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott!“. Und das Evangelium nennt einen anderen Boten (Mk 1, 1-8): „Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen“. Diese Boten haben immer einen konkreten Namen: Elia oder Johannes der Täufer. Ein Bote des 19. Jahrhunderts hieß Johann Baptist Jordan, der vor 139 Jahren in Rom seine Botenaufgabe begann. Was sind 139 Jahre? Erzählen wir seine Geschichte!
Eine Erzählung: „Sie taten ganz geheimnisvoll“
Am 11. November 1906, im sogenannten annus horribilis, einem Krisenjahr der SDS, empfing Pater Jordan folgendes Schreiben aus Brasilien:
„Zum 25jährigen Bestehen Ihrer Gesellschaft wünsche ich Ehrwürden Hochwürden sowie allen Ihren Kindern von Herzen Glück! Ich erinnere mich noch ganz lebhaft des so wichtigen Tages, obgleich ich damals noch nicht wusste, was eigentlich vorging. Sie, sowie Pater Lüthen und Pater Leonhardi taten ganz geheimnisvoll. Die Heiligsprechung des Benedikt Labre und der anderen drei Heiligen machte alles noch feierlicher. Da unser Koch, der gute Giuseppe, zur Ehrengarde des Papstes gehörte, musste er mit im Vatikan antreten. Ich wollte Koch spielen, ließ aber das kupferne Geschirr verbrennen, in welchem ich Kastanien rösten wollte. Am Nachmittag besuchten wir das Grab des heiligen Benedikt Labre”1 .
Der Schreiber dieser Zeilen ist Pater Cyriacus Hielscher OFM, ein Franziskaner (Taufname Joseph), der den Salvatorianern bei ihrer Gründung in Brasilien viel geholfen hat. Er war 1881 noch Laie und in Santa Brigida in Rom anwesend.
Einführung
Wie können wir uns den offiziellen Gründungstag der Salvatorianer vorstellen, der am 8. Dezember vor 139 Jahren stattfand?2 Wie geht: Gründen? Veranstaltet der Gründer eine Pressekonferenz und kündigt sein Unternehmen plötzlich an? Oder findet ein Gründungstag ganz klein, ganz unauffällig, irgendwie in einer stillen Ecke, in einem stillen Kämmerchen oder in einer kleinen Kapelle statt? Bei Pater Jordan fand die Gründung nicht unerwartet statt. Es stand eine richtige Strategie dahinter, um zielbewusst vorzugehen. Als dann alle notwendigen Vorbereitungen fertig waren, war der Beginn doch ein sehr stiller und fand sogar geheimnisvoll statt.
Startschuss: Nun ging´s ans Werk (August 1880)
Schildern wir den geschichtlichen Weg, auf dem Pater Jordan nach seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land (August 1880) mutig voranschritt. Er war dort von vielen Bischöfen und anderen Verantwortlichen in seinem „apostolischen, universalen, alle Menschen umfassenden Werk“ bestätigt und ermutigt worden. Das gesamte Werk, das er als weltweite Bewegung dachte und „Apostolische Lehrgesellschaft“ nannte, in der alle Stände, Berufsgruppen und alle bestehenden und noch nichtexistierenden Vereine gleichermaßen mitwirken sollten, das Reich Gottes in der Welt wieder aufzurichten, sollte nach Jordans Plan durch eine religiöse Kongregation (eine Ordensgemeinschaft) gesteuert werden. Pater Jordan schrieb in sein Notizbuch: „Nun ging´s ans Werk“. Der Gründer-Unternehmer kann nicht mehr warten. Wie eine Rakete dringt er in mehrere Luftschichten ein.
Papstaudienz (6. September 1880)
Die erste Schicht ist eine päpstliche! Der Diözesanpriester Johann Baptist Jordan denkt: ‚Wenn ich den Segen des Heiligen Vaters habe, dann kann mir nichts mehr passieren. Dann wird jeder sehen: Mein Unternehmen ist eine gute Sache‘. Ganz schnell, schon drei Wochen nach seiner Rückkehr, ist er bei Papst Leo XIII. und erhält dessen Segen. Das war nur möglich, weil Jordan human relations, Beziehungen und Kontakte, hatte. Er kannte einen einflussreichen Kardinal, der ihn protegierte und ihm beim Papst eine Privataudienz verschaffte. Es ist bekannt: Damals gab der alte Papst Leo XIII. nur sehr selten Audienzen. Pater Jordan hatte die erste Hürde geschafft und gezielt gepunktet. Die spätere Generation, der Salvatorianer Maler, Bruder Ägidius Röder, hat diese Audienz später im Bild dargestellt. Nicht zu übersehen: Pater Jordan mit seiner urigen Brille und seinem „Missionars-Bart“!
Besuche und Kontakte (Oktober-Dezember 1880)
Jordan versuchte in Rom junge Priesteramtskandidaten zu gewinnen (z.B. Josef Hartmann) und zieht von der kleinen Wohnung in Via Largo dell’Impresa nach Santa Brigida auf der Piazza Farnese 96. Dann nahm er am Katholikentag in Konstanz teil (September 1880), besuchte seinen Heimatbischof Lothar von Kübel in Freiburg i. Br. und entwirft mit dem Laien Ludwig Auer in Donauwörth die ersten Statuten einer apostolischen Lehrgesellschaft (Oktober 1880). Dann findet er in Fribourg in der Schweiz (im Üchtland) weitere Mitarbeiter. Es sind dies Josef Schorderet (Schweiz) und Gerard Roelofs (Niederlande). Auf seinem Weg nach Rom begegnet er Don Bosco in Turin, der ihm tatkräftige Hilfe verspricht. Jordan wollte eigentlich schon am 8. Dezember 1880 mit dem Studenten Hartmann in der Kirche der Redemptoristen Sant’Alfonso vor dem Bild ‚Maria von der ewigwährenden Hilfe‘ seine Gründung anfangen. Hartmann empfing damals aus der Hand von Pater Jordan die heilige Kommunion und es blieb bei einem gegenseitigen Versprechen. An diesem Tag wurde von Papst Leo XIII. ein außerordentliches Heiliges Jahr (19.3. bis 1.11.1881) verkündet und ein Rundschreiben über Missionsgesellschaften veröffentlicht. Die erste Kinderzeitschrift Piccolo Monitore Romano wurde Dezember 1880 von Jordan herausgegeben, im Juni 1881 bekam die Zeitschrift einen anderen Titel L’amico dei Fanciulli (Kinderfreund). Weitere Mitarbeiter wurden in Rom (Msgr. Paolo Fortini) und in Schlesien (Karol Miarka und Stanislaus Stojałowski) gefunden. Auch mit anderen einflussreichen Persönlichkeiten stand Jordan in dieser Zeit in regem Kontakt (Bischof Guglielmo Massaja, Kardinal Luigi Maria Bilio; Rektor Anton de Waal (Campo Santo Teutonico) und Rektor Karl Jänig (Anima), Kardinal Edward Howard und Johannes de Montel).
Weitere Kontakte (Jänner-März 1881)
Jordan traf sich in diesen zwei Monaten mit weiteren kirchlichen Persönlichkeiten: mit Pietro Semenenko, einem der Gründer der Resurrektionisten, mit Arnold Janssen, dem Gründer der Steyler Missionare und mit dem Missionär Friedrich von Leonhardi. Als Jordan im Februar 1881 in seinem Heimatort Gurtweil ist, kontaktiert er seine früheren Lehrer Friedrich Werber und Gottfried Nägele. In Fribourg in der Schweiz weiß er Johann Evangelist Kleiser und Johann Baptist Wittman für seine Sache zu begeistern, auf der Insel Reichenau bei Konstanz schließt sich ihm der Laie Simon Deggelmann an. Als Jordan in Donauwörth ist, begegnet er dem hochbegabten Priester Bernhard Lüthen. Dieser schließt sich Jordan an, nicht zur Freude von Ludwig Auer. Diese Begegnung wird jedoch für Pater Jordan der ‚Fischfang‘ seines Lebens. Wir wissen, dass Lüthen nach eigener Angabe zuerst keinen Ruf spürte und dies auch Pater Jordan sagte. Jordans Antwort war schlicht und einfach: „Sie müssen auch mitwirken, das heißt mit der Anregung der Gnade.“ 3 Und Lüthen lässt sich überzeugen.
Der Durchbruch in Italien (Ostern 1881)
Im April 1881 tritt Jordans Werk in Italien offiziell an die Öffentlichkeit mit einem knapp gehaltenen Flugblatt „Precibus quas“. Die erste italienische Zeitschrift Monitore Romano erscheint.
Die dritte Stufe kommt in Italien und Deutschland zustande (Mai und Juli 1881)
Die erste Pfarrgruppe der Apostolischen Lehrgesellschaft wird in Italien im Mai 1881 und in Ottobeuren (Deutschland) am 24. Juli 1881 gegründet. Damit entsteht die dritte Stufe des gesamten Werkes. In Rom sind 1881 und 1882 sogar insgesamt sechs Pfarreien bekannt, wo eine Pfarrgruppe existierte4 . Die erste deutsche Familienzeitschrift Der Missionär erscheint Juli 1881. Lüthen gibt bei dieser Gelegenheit seine bekannte Broschüre Die Apostolische Lehrgesellschaft heraus.
Die zweite Stufe entsteht – „Wenn du einmal diese Papstgeschichte kennst“
Schon Mitte 1881 hat Jordan eine Liste, worauf 33 Namen von Wissenschaftlern aus mehreren Ländern notiert sind, die ihm versprochen haben, an seinem Unternehmen mitzuarbeiten. Auch eine neue wissenschaftliche Zeitschrift Nuntius Romanus ist bereits erschienen. Als erster Name auf der Liste ist notiert: „Dr. L. Pastor Frankfurt a/M (Specialfach: Geschichte der Päpste)“5 . In seinem soeben erschienenen Buch Wage zu träumen! bekennt Papst Franciscus, dass er dieses 16-bändiges Werk in einer Krisenzeit seines Lebens gelesen hat6 . „Wenn Du einmal diese Papst-Geschichte kennst“, so der Papst, „dann kann dich wenig von dem, was im Vatikan und der Kirche heute passiert, noch schockieren. Es hat mir sehr geholfen!“ Kathpress kommentiert in ihrer Ausgabe vom 4.12.2020 diesen Hinweis auf Ludwig von Pastor mit folgenden Worten: „Franziskus verweist nämlich darauf, dass die 16-bändige „Geschichte der Päpste“ von Ludwig von Pastor (1854-1928) eine lehrreiche Lektüre für sein Amt gewesen ist. „Wenn Du einmal diese Papst-Geschichte kennst, dann kann dich wenig von dem, was im Vatikan und der Kirche heute passiert, noch schockieren. Es hat mir sehr geholfen!“, schreibt Franziskus.
Alle 37 [sic] Bände des österreichischen Historikers, der ab 1901 neben seiner Professur in Innsbruck auch Direktor des Österreichischen Historischen Instituts in Rom war, las Jorge Mario Bergoglio demnach in den Jahren von 1990 bis 1992 im argentinischen Cordoba. Dorthin hatte ihn der Jesuitenorden geschickt, nachdem er zuvor Provinzial und Rektor eines Studienhauses gewesen war. Der Papst selbst bezeichnet diese Phase als eine Zeit der „Selbstisolation“, in der er lernen musste, sein Leben neu zu leben. Damals sei er vom Fußballfeld genommen und auf die „Ersatzbank“ gesetzt worden.“ 7
Neben Bernhard Lüthen in Donauwörth war auch Ludwig von Pastor in Frankfurt damals für Pater Jordan ein großer Fisch!
Die Errichtung der ersten Stufe am 8. Dezember 1881
Nach seiner Rückkehr nach Rom im Oktober 1881 ruft Jordan seine beiden Mitarbeiter Bernhard Lüthen und Friedrich von Leonhardi zu sich. Zu dritt machen sie Anfang Dezember bei den Jesuiten im Borgo Santo Spirito Exerzitien. Am 8. Dezember 1881, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, während der Heiligsprechung von vier Seligen im Petersdom, zelebriert Jordan in der kleinen Kapelle der heiligen Brigitta von Schweden einen Gottesdienst. Nach dem Empfang der heiligen Kommunion legen seine beiden Mitarbeiter, Bernhard Lüthen für drei Jahre, Friedrich von Leonhardi für immer, ihre Versprechen ab8 .
Damals, am offiziellen Gründungstag der Salvatorianer am 8.12.1881, wimmelte der Himmel voller Heiligen und Seligen. Bald werden am 15.5.2021 die römischen Glocken für einen neuen Seligen, den damaligen Boten (Johann Baptist) und heutigen Pater Franziskus Maria vom Kreuze Jordan läuten. Hoffentlich gibt es dann beim Festessen keine verbrannten Kastanien!
Das Bild (Ausschnitt) zeigt Pater Jordan bei der Papstaudienz am 6.9.1880 in Rom (Apostelkalender, 1893, S. 86).
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1 Hielscher an Jordan, Paranagua (Brasilien), 11.11.1906, APS, D, 1171.
2 Vgl. Salvatorianer in Geschichte und Gegenwart, Rom, 1981, S. 80-82.
3 Zitiert nach P. Peter van Meijl, Pater Jordan als Beziehungsmensch, Wien 2012, S. 128.
4 Nach den Forschungen von Johan Moris, Schulen. Laut der Zeitschrift Monitore Romano gab es 1881 schon Pfarrgruppen in der Pfarre San Giovanni dei Fiorentini, Via Acciaioli / Via Giulia, Rione V – Ponte (MR, 1881, S. 24) und in Santi Celso e Giuliano, Via del Banco di S. Spirito, Rione V – Ponte (MR, 1881, S. 40). In 1882 sind Pfarrgruppen bekannt in San Lorenzo in Lucina, Piazza S. Lorenzo in Lucina, Rione III –Colonna (MR, 1882. S. 8 und 72), in San Giovanni in Laterano, Rione I – Monti (MR, 1882, S. 16), in Santa Maria in Via Lata, Via del Corso, Rione IX – Pigna (MR, 1882, S. 55) und in Santa Brigida, Piazza Farnese, Rione VII – Regola (MR, 1882, S. 96).
5 Siehe P. Peter van Meijl, Pater Jordan als Beziehungsmensch, Wien 2020, S. 105.
6 Papst Franciscus, Wage zu träumen!, Kösel, 2020.
7Kathpress. Katholische Presseagentur. Österreich, 4.1.2020. Neues Buch von Papst Franziskus nun auch auf Deutsch erschienen (kathpress.at)
8 Vgl. B. Lüthen, Beiträge zur Geschichte des Göttlichen Heilandes, Hamberg, 15./16. August 1910 in Archivum Postulationis Salvatorianae, abgekürzt als APS, BL, 1378, Seite 6-7; Abschrift, S. 3.