Das Freiwillige Ordensjahr - ein Win-win-Projekt
Glaube scheint in unseren Tagen - zumindest in Europa - nicht sehr im Aufwind. Der Zulauf zu kirchlichen Einrichtungen hält sich in Grenzen. Das zeigt sich nicht nur bei Gottesdiensten, sondern auch in anderen Bereichen, wo in aller Stille weiterhin aus christlicher Grundhaltung heraus vieles für die Gesellschaft geleistet wird. Ob Bildungseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, die Caritas mit ihren vielen segensreichen Einrichtungen, ob Kindergärten oder Kulturveranstaltungen, ob internationale Jugendeinsätze oder Solidarität bei Katastrophenfällen - im Rahmen der Kirche(n) wird vieles geleistet.
Nicht erst seit beim Zweiten Vatikanischen Konzil in Gaudium et Spes „Freude und Hoffnung, Sorgen und Nöte der Menschen“ zum selbstverständlichen Anliegen der Kirche erklärt wurden, ist christliches Glaubensleben mitten in die Geschehnisse der Welt hineingestellt.
Die Zeichen der Zeit erkennen
Immer wieder haben in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche Bewegungen auf die Nöte und Herausforderungen der jeweiligen Zeit reagiert und sich in ganz unterschiedlicher Weise engagiert. Die Geschichte der Ordensgemeinschaften zeigt dies in ganz anschaulicher Weise. Ob es um die Bildung von Mädchen oder das Freikaufen von Sklaven, ob um die Pflege von Pestkranken oder das Kümmern um Straßenkinder geht, ob um die Korrektur von Wohlstandsdenken oder Lehrlingsbetreuung, ob um Ackerbau, Weinbau, Waldwirtschaft und Viehzucht oder die Pflege und Erhaltung exotischer Sprachen … - immer waren Frauen und Männer aus Ordensgemeinschaften von Gebet getragen mit dabei.
Und zu jeder Zeit haben die Gemeinschaften auf die Veränderungen reagiert, sich angepasst und neue Wege gefunden, ihre Ideale im Dienste Gottes und der Menschen zu verwirklichen.
Gerade erleben wir wieder eine Zeit des Umbruchs. Die Zahl der Eintritte in die Orden lässt (in unseren Breiten) nach. Die Gemeinschaften überlegen, wie sie weitermachen, ihr Werk unter geänderten Voraussetzungen fortführen können.
Das freiwillige Ordensjahr
Ein interessantes und zukunftweisendes Experiment in diese Richtung stellt das Programm Freiwilliges Ordensjahr dar, das seit einigen Jahren von den Orden in Österreich angeboten wird.
Es bietet volljährigen Frauen und Männern aller Altersgruppen die Möglichkeit, auf die Dauer von mindestens drei Monaten bis zu einem Jahr in einer Ordensgemeinschaft mitzuleben und mitzuarbeiten. Sr. Ruth Pucher MC vom Referat Ordensentwicklung im Wiener Kardinal König Haus koordiniert das Programm, berät Interessierte, hilft bei der Auswahl einer Kommunität, bleibt Ansprechpartnerin für alle Fragen, die durchaus vielschichtig sind.
So stellt sich für BewerberInnen die Frage nach dem passenden Haus: Will ich lieber in ein kontemplatives Kloster oder vielleicht eher in eine apostolisch tätige Gemeinschaft? Je nachdem ob die Gemeinschaft ein Exerzitienhaus, einen Kindergarten, ein Krankenhaus oder eine Landwirtschaft betreut, wird die tägliche Arbeit - und werden die dabei zu sammelnden Erfahrungen - sehr unterschiedlich ausfallen.
Individuell verschieden sind auch die Startbedingungen: Junge Menschen brauchen im Regelfall Krankenversicherung, Sozialversicherung, eine gewisse finanzielle Zuwendung; Interessenten, die aus dem aktiven Berufsleben kommen, bringen diese Voraussetzungen oft in Form einer Freistellung oder eines Sabbatjahres mit; Ältere, die schon im Ruhestand sind, haben diesbezüglich weniger juristisch-finanziell-versicherungstechnische Details zu lösen.
Für jeden das Passende finden
Entsprechend maßgeschneidert werden für den konkreten Einzelfall die Regelungen auch zwischen dem Interessenten und der Ordensgemeinschaft in einer schriftlichen Vereinbarung festgelegt.
Ein kurzer Aufenthalt vor Ort dient dem gegenseitigen Kennenlernen und soll abklären, ob die Vorstellungen der beiden Seiten inhaltlich und sicher auch persönlich zueinander passen.
Auch zwischen den Teilnehmern am Freiwilligen Ordensjahr gibt es eine Vernetzung und einen Erfahrungsaustausch durch gemeinsame Wochenenden, bei denen Interessenten, aktuelle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sowie Ehemalige sich über Chancen, Erfahrungen und auch auftretende Schwierigkeiten austauschen können. Außerdem hat jede/r eine Ansprechperson in der eigenen Gemeinschaft zur Begleitung und gemeinsamen Reflexion.
Weil das Freiwillige Ordensjahr erklärtermaßen keine Postulatur ist, die zum Eintritt in die jeweilige Gemeinschaft führen soll, aber mehr als nur eine Art „Kloster auf Zeit“ in Langform, gibt es beiden Seiten (Gast und Hausgemeinschaft) die Möglichkeit, sich ohne hochgesteckte Erwartungen auf gemeinsame Erfahrungen einzulassen. So erleben die von außen Kommenden den Alltag der Ordensleute; die in langen Jahren zusammengewachsenen Gemeinschaften können neue Impulse durch das interessierte Nachfragen und manchmal auch Hinterfragen gegebener Strukturen und Abläufe durch ihre Gäste und zunehmend Hausgenossen bekommen.
Ich selbst durfte ein gutes halbes Jahr bei den Savatorianern von St. Michael in Wien I. im Freiwilligen Ordensjahr mitleben und gehe dankbar und in vielerlei Weise bereichert in meinen eigenen Alltag zurück.
Verlinkung zum freiwilligen Ordensjahr