P. Josef Wilfings Inselpost Nr. 5: Grenzerfahrungen
Liebe Freunde und Bekannte,
bisweilen werde ich gefragt, ob ich mich schon eingelebt hätte? Ich könnte ja sagen, denn vieles ist mir so vertraut, dass es mir nicht mehr auffällt. Ich kenne die Umgebung, immer wieder neue Wege (der letzte Kilometer Weg, der mir einst ins Niemandsland zu führen schien, wird jetzt hundertmeterweise betoniert), die Dörfer, manche Menschen … Ich habe die erste Innenstadtführung in Manila gemacht. Ich habe die Ängstlichkeit der ersten Wochen abgelegt. Ich würde mich sowohl in Manila auch an jeden anderen Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Manila bewege können. Ich fühle mich sicher trotz der Nachrichten über die viele Gewalt auf den Inseln. Aber ich wundere mich weiterhin, warum alles trotzdem funktioniert. Und ich warte auf die Kälte, die nicht kommen wird. Ich wundere mich, dass die Leute immer noch kurze Hosen tragen, obwohl es nach acht Monaten Wärme doch einmal kalt werden müsste.
Erste Grenzerfahrungen
Erste Grenzerfahrungen im öffentlichen Verkehr habe ich erlebt. Das war eine Stunde am Bahnsteig, bis es mir mit einiger Anstrengung gelang, mich in den Stadtbahnwagon hineinzudrängen. Vor mir standen nur zehn Personen. Die Bahnen waren aber alle schon voll. So ähnlich: Zwei stiegen aus, vier stiegen ein. Mit der sechsten Garnitur kam ich mit. 100 m Schlange vor der Sicherheitskontrolle zur Stadtbahn. 200m Schlange vor dem Bus. Obwohl mindestens alle zehn Minuten ein Bus los fuhr, brauchten wir eineinhalb Stunden, bis wir an der Reihe waren.
Von den Naturkatastrophen sind wir verschont geblieben. Es gab vor etwas mehr als einem Monat einen Taifun und auch jetzt wieder einen. Beide betrafen vor allem den Nordteil der Insel Luzon. Auch im Haus unserer Schwestern in der Provinz Pangasinan entstand Sachschaden am Kapellendach. Wir spürten nur noch außergewöhnlich starken Wind und verstärkte Regenfälle besonders beim ersteren der beiden. Jetzt ist es ein wenig kühler aber nachts hat es nie unter 20°.
Ich bin jetzt vor allem im Haus und bei den Novizen aktiv. Im Haus wohnen derzeit 23 Studenten. Neun leben im Noviziat. Meine Unterrichtseinheiten und Vorträge sind natürlich auf Englisch. Da genüge ich meinen Ansprüchen leider nicht. Vor allem mein Wortschatz kommt mir sehr dürr vor. Seit Anfang August sind wir nur zu zweit im Haus. Unser Superior, P. Adam, nahm zuerst am Generalkapitel teil und schloss daran seinen Heimaturlaub in Polen an. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt hier, fuhr er zu einer Pfarraushilfe in die USA. Diese Pfarrei unterstützt einige unserer Aktivitäten, besonders im Bereich der Jugend.
Marienfiguren auf den Philippinen - zwei Beispiele von vielleicht 50 oder mehr.
(c) P. Josef Wilfing
Philippinische Frömmigkeit
Dass die philippinische Frömmigkeit doch sehr viel anders ist als unsere, brauche ich sicher nicht erst zu sagen. In der Nähe wurde eine neue Pfarrkirche erbaut. Außen im Kolonialstil, innen hell und freundlich. Im Saal neben der Kirche stellt der Pfarrer Marienfiguren aus – alle in unterschiedlicher Kleidung, was ich in Österreich in ähnlicher Weise nur von Maria Zell kenne. Die Statuen werden nicht farbig gefasst, sondern einfach in prächtige Gewänder gehüllt.
Beim Taytay-Wasserfall mit dem Besuch, vorne links P. Hubert. (c) P. Josef Wilfing
Besuch aus Deutschland
Aus Deutschland haben uns zwei Mitbrüder besucht, sowie eine Mitarbeiterin unseres Missionsbüros in München und der ehemalige Direktor unserer Schule in Steinfeld. Sie wollten unsere Projekte und jene der Schwestern kennenlernen, damit die Spender in Deutschland auch richtig informiert werden können. Mit diesen konnte ich dann auch eine der touristischen Highlights hier, den Wasserfall Taytay, besuchen. Für unsere Begriffe wäre dieser kaum von größerer Bedeutung, doch ist das auf jeden Fall ein besonders schöner Ort.
Das Gefängnis
Ein wenig über die Situation in den Gefängnissen erfahren wir über Sr. Violetta, P. Hermann und P. Hubert, die dort regelmäßig Gottesdienste feiern. In der Provinz Cavite mit etwa 1 Million Bewohnern gibt es 16 Gefängnisse. Alle sind überbelegt. Von denen, die wir aus unserem Bereich kennen, sind die Belegzahlen von anfangs 90 Insassen auf jetzt 420, im anderen von 400 auf 1200, und im dritten von 250 auf 450 gestiegen. Dementsprechend sind auch die Verhältnisse. Die Leute werden eingeliefert, weil es für einen Polizisten und seine Karriere vorteilhaft ist, Gefangene zu machen. Im Gefängnis aber sehen diese Leute oft jahrelang weder einen Richter noch einen Staatsanwalt. Bei Verhandlungen erscheinen Kläger nicht, sodass die Verhandlungen oft verschoben werden. So kommt es leicht zu einem „Gefangenenstau“, wie man bemerkt. Anfang Oktober wurde ein Gefangener entlassen, nachdem er mehrere Jahre eingesessen war, ohne je einen Richter oder etwas Ähnliches gesehen zu haben. Warum er entlassen wurde, weiß man nicht. Ein anderer saß unter ähnlichen Umständen neun Jahre. Ende Oktober kamen drei Andere frei wieder ohne irgendeine juristische Beachtung gefunden zu haben. Zumindest wurde nichts offenkundig. Das ist nur ein kleiner Überblick. Nichts ist hier gesagt über ein Gefängnis in Manila mit 20.000 Gefangenen. Nichts auch über die Arrestzellen, bei den Polizeistationen. Diese sind nicht selten Orte, in denen gefoltert wird – ohne Folgen für die Täter. Kritik ist auch für die Seelsorge nicht möglich, weil einem sonst alle Hilfe für die Gefangenen untersagt würde.
Gefangene mit selbstgebastelten Kostümen für einen Tanz zu Ehren des "Santo Nino" im engen Vorraum vor den Zellen. (c) P. Josef Wilfing
Eine der positivsten Einrichtungen ist für mich der Gefangenensonntag. Dieser wurde vor 31 Jahren von der katholischen Bischofskonferenz eingeführt. Dadurch sollten die Menschen darauf hingewiesen werden, die Gefangenen nicht zu vergessen. Ein Ergebnis dieses Sonntags sind Laiengruppen, die die Gefangenenseelsorger und –seelsorgerinnen in ihrer Arbeit unterstützen. Die Mitglieder einer Gruppe wurde von Entlassenen belästigt und bedrängt, woraufhin sie sich auflöste. Nach einigen Jahren wurde eine neue Gruppe gegründet. Dazu gehören etwa 80 Laien, die verschiedene Dienste übernehmen. Besonders bei größeren Aktionen wie einer Medical Mission kommen sie zum Einsatz. Sie leiten aber auch Wortgottesdienste, wenn kein Priester zur Verfügung steht.
Am „Gefangenensonntag“ konnte ich an einem Gottesdienst im „schlimmsten“ Gefängnis der Provinz teilnehmen. Hier sind etwa 450 Gefangene im Keller der Polizeizentrale untergebracht. Die Gefangenen leben ganz ohne Sonnenlicht und lange auch ohne Frischluft. Unter diesen Umständen waren einige der Gefangenen erstickt. Erst als sich Sr. Violetta der Sache angenommen hatte, wurde über sie mit einigen Sponsoren eine Entlüftungsanlage angeschafft. Der dortige Rotary (Lions?)-Club half dabei. Seit etwa einem Jahr ist Jesus (Name!) dort Gefängnisdirektor. Im Gefängnis, in dem er vorher seinen Dienst leistete, wurde er von den Gefangenen mit Applaus verabschiedet. Nachdem er dort die Leitung des Hauses übernommen hatte, wurde das Essen besser. Er ging jeden Tag durch die Räume, um die Gefangenen nach einem Bedarf zu fragen. Jetzt leitet er dieses schlimmste aller Gefängnisse und schaffte auch hier eine erträgliche Atmosphäre. Beim Gottesdienst mit Musik und Gesang spürt man auch Hoffnung und Freude bei diesen Menschen. Für diesen Feiersonntag hatten die Gefangenen jeder Zelle Aufführungen vorbereitet: Musikstücke, Tänze oder auch Theater. Zum Anschluss leiteten dann zwei junge Ordensschwestern Spiele und Tänze an, die im engen (vielleicht 3x5m – der kleine Platz vor den Zellen) „Sozialraum“ vor den Zellen aufgeführt wurden. Sr. Violetta hatte dafür kleine Geschenke besorgt: Flip-Flop jedenfalls und andere Kleinigkeiten. Im Anschluss sollten wir noch die Segnung des neuen Gefängnisses vornehmen. Die Männer sollten in der folgenden Woche übersiedeln und dann nach Jahren endlich wieder die Sonne sehen und frische Luft atmen können. Der Direktor Jesus sagte: „Ich werde ihnen den Aufenthalt zum „Himmel“ machen.“ Das gilt natürlich nur unter den erlaubten Bedingungen. Jeder weiß, wenn jemand flüchtet, wird der Direktor ersetzt. Nachher kann es nur schlechter werden. Es können ganz andere Direktoren kommen, wie jener, der sich nur an wenigen Tagen im Monat sehen lässt und trotzdem kassiert. Vielleicht auch besser so, denn sein Stellvertreter, kann gut mit den Gefangenen umgehen.
Jesus zwischen Sr. Violetta und P. Hubert und Gästen auf der Terrasse des neuen Gefängnisses. (c) P. Josef Wilfing
Eine Gefängnisleitung muss sich üblicherweise um nichts sorgen. Die Seelsorgerin Sr. Violetta organisiert medizinische Betreuung (Medical Mission) einmal durch Allgemeinmediziner, ein andermal für die Zahnbehandlung. In diesem Jahr konnte sie zustande bringen, dass die inhaftierten Lehrer interessierten Häftlingen ermöglichten, einen Schulabschluss zu machen. Die Schulmaterialien musste natürlich sie besorgen. Die Prüfungen wurden dann von einem Team der Schulbehörde abgenommen. Es gab etwa 40 Abschlüsse. Das sind nur einige ihrer Aktionen. Ihr ist es wichtig, dass alle Gefangenen in gleicher Weise betreut werden. Eine andere religiöse Organisation kümmert sich nur um ihre eigenen Leute. Sie darf im Gefängnis missionieren, weil viele der Gefängnisdirektoren dieser Gruppe angehören (interessanterweise). Manches Mal bringen sie Geschenke, um sie zum Abschluss wieder mitzunehmen. Vielleicht auch einige zum Wechsel der Religion zu ermutigen?
Eine Gefängnisgeschichte
Von den vielen besonderen Geschichten aus den Gefängnissen will ich zuerst einmal eine erzählen. Als der gewaltige Taifun vor etwas mehr als drei Jahren ein paar Inseln der Philippinen fast total verwüstete, hatte Sr. Violetta einen Transport dorthin organisiert. Bei der Messe im Gefängnis wurde auch für die Betroffenen gebetet. Bevor sie noch gegangen war, merkte sie, dass die Gefangenen unter sich etwas in Eile besprachen. Sie wurde aufgehalten. Die Gefangenen hatten beschlossen, den Sack Reis, den ihnen Sr. Violetta mitgebracht hatte, den Opfern des Sturms mitzugeben. Auf die Bemerkung, sie hätten doch selbst so wenig, sagten sie, dass jene noch weniger hätten. Die Schwester hielt sie aber an, ihre Unterschriften auf den Sack zu setzen und ihn so mit dem Transport mitzuschicken.
Ich grüße euch herzlich von der Insel
P. Josef
Talon, 14. November 2018