Die Spuren des Feuers
Ernst Hilger (Galerie Ernst Hilger, Wien) hatte Jakob Kirchmayr vergangenen Sommer gefragt, ob er Lust hätte, ein Fastentuch für die Michaelerkirche in Wien zu erarbeiten. Er war von dieser Idee angetan, wenngleich das nötige Format von etwa sechs × zwölf Meter seine größten Arbeiten um das Fünffache überschreiten würde. Doch „die Beschäftigung mit einem neuen Format bedeutet auch immer, man muss eine neue Herangehensweise finden“, sagt Jakob Kirchmayr im Interview. „Mir war relativ rasch klar, dass ich in dieser Dimension mit den Mitteln, die ich üblicherweise verwende, mit Farbe und Stiften, nicht das ausdrücken werde können, was ich gerne ausdrücken möchte.“
Das Video zum Fastentuch 2024
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Erde, Asche, Rauch und Kohle
Beeinflusst von düsteren Zukunftsvisionen, den Strategien der großen Konzerne, des Klimawandels und der zunehmenden globalen Zerstörung der Natur, die sich in katastrophalen Strategien widerspiegeln, entschied er sich anstelle von Stiften und Farbe schlussendlich für Wasser und Feuer als Alternative. Das Fastentuch besteht aus etwa 20 verbrannten, geräucherten, mit Asche, Erde und Kohle abgeriebenen und dem Regen ausgesetzten Baumwolltüchern - Erde, Asche, Rauch und Kohle als färbende Medien. „Die Spuren des Feuers, apokalyptisch, wie auch wunderschön zugleich“, schwärmt der Künstler.
(c) Jakob Kirchmayr
140 Quadratmeter Stoff
„Wir haben 140 Quadratmeter Stoff verwertet“, erinnert sich Kirchmayr im Interview. „Das Tuch besteht aus vielen Fragmenten. Diese wurden händisch vernäht und dafür rund 500 Meter Nähgarn benötigt. Auf der Rückseite gibt es eine Konstruktion aus Seilen, die den Stoff trägt, denn das Gewebe wurde durch das Feuer teils stark geschwächt und ist daher recht fragil. Ich glaube, es sind 130 Meter Seil - das sind schon Dimensionen, die für ein normales Kunstwerk ungeheuerlich sind“, betont Jakob Kirchmayr. Die Tücher wurden bewusst gerafft und geknittert - so entstand ein Bildwerk mit beinahe skulpturalem Charakter.
Was bedeutet Fastenzeit?
„Jakob Kirchmayr hat sich überlegt, was heutzutage Fasten und Fastenzeit bedeutet“, erzählt P. Erhard Rauch, Salvatorianer und Pfarrer der Michaelerkirche. „ Es ist Krieg in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten. Die Menschen müssen auf verbrannter Erde inmitten Trümmern leben. Diese Menschen müssen fasten, und wir wollten das aufzeigen und in unsere Wohlstandsgesellschaft hineinbringen. Das war das Anliegen dieses jungen Künstlers, und ich denke, es ist ihm hervorragend gelungen.“
(c) Erzdiözese Wien/Schönlaub
Michaelerkirche: Ein Platz (auch) für moderne Kunst
Die Michaelerkirche war schon immer ein Platz für junge und moderne Kunst. „Ich glaube, es gibt junge Künstlerinnen und Künstler, die sehr spirituell sind, jetzt vielleicht nicht im streng konservativen kirchlichen Sinn, aber die sich Gedanken machen und das Leben in Beziehung setzen mit dem Vergänglichen“, betont P. Erhard Rauch. „Ich glaube, das ist wichtig. Und in der Michaelerkirche haben wir immer wieder junge Künstlerinnen und Künstler, die aufstrebend sind, die am Beginn ihres künstlerischen Schaffens stehen, ermöglicht, ihre Werke größer darstellen zu können.“
Düster, aber dennoch Hoffnung
"Ich habe versucht, mit dem Fastentuch den Zustand der Welt zu beschreiben“, bringt es Jakob Kirchmayr auf den Punkt. "Unsere Welt scheint gerade auseinanderzubrechen, oder an einem Wendepunkt angelangt zu sein und wir müssen achtsam sein, dass unsere Gesellschaft nicht daran zerfällt. Vieles ist düster und macht mich traurig oder wütend, es gibt so unglaublich viel Unrecht und Zerstörung. Verfolge ich die Medien, dann empfinde ich Schmerz. Ein Künstler versucht wohl immer seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen und diese in seine Kunstwerke zu transformieren. In diesem Fastentuch sind somit auch Schmerz und Wut über die globalen Missstände zu finden - vielleicht aber auch Hoffnung, denn die vielen Fragmente, aus denen das Tuch besteht, die das Feuer verbrannte und verkohlte, wurden auch wieder zu einer Einheit zusammengefügt - jedoch erinnern mich die Nähte, wie Narben an Wunden."
Biografie Jakob Kirchmayr
Jakob Kirchmayr wurde 1975 in eine Künstlerfamilie hineingeboren und entwickelte nach experimentieren mit Zeichnungen seinen eigenen Malstil. Zunächst war er von figurativer Malerei geprägt, bevor er sich zur Abstraktion wandelte. Seine Werke, oft inspiriert von lyrischen Texten, enthalten handgeschriebene Zitate, die als verborgene Botschaften dienen. Kirchmayrs neueste Arbeiten zeigen Landschaften, die persönliche Erfahrungen und kollektive Erinnerungen widerspiegeln und emotionale Reaktionen hervorrufen. Er verzichtet auf vorbereitende Skizzen und baut stattdessen seine Bilder spontan mit Schichten aus Farbe und Textur auf. Kirchmayrs Technik, die er durch jahrelanges Experimentieren entwickelt hat, nutzt reine Pigmente und lässt seine Bilder auf hochwertigem französischem Baumwollpapier unter der Einwirkung von Tusche, Pigmenten, Gesso und Acryl wellig werden. Diese Technik verleiht seinen Kunstwerken eine zusätzliche Dimension. Er präsentiert seine Arbeiten in handgefertigten Rahmen aus Natureiche ohne Glas, um eine direkte Verbindung zwischen Betrachter und Werk herzustellen.
(c) Jakob Kirchmayr
Kirchmayrs Werke wurden in Ausstellungen in Österreich, Europa und den USA gezeigt.
Der Künstler lebt und arbeitet in Wien.
Auch die ORF-Seitenblicke waren zu Gast in St. Michael: https://tvthek.orf.at/profile/Seitenblicke/4790197/Seitenblicke-vom-15-02-2024/14213732
Präsentation:
Aschermittwoch, 14. Februar 2024, 18.00 Uhr
Michaelerkirche, Michaelerplatz 5, 1010 Wien