Podcast Nr. 5: Sr. Christine Rod MC: Die Hausaufgabe liegt bei uns
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„Als ich die Anfrage bekommen habe, das Ordensleben zwischen 1960 und 1980 unter die Lupe zu nehmen, hat mich das sehr gelockt“, erinnert sich Sr. Christine Rod im Gespräch. „Natürlich ist zu allen Zeiten vieles im Umbruch, in der Politik, in der Geschichte. Aber es ist selten so verdichtet wie in diesen zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts.“ Die Jahre waren aufregend im Sinne von inspirierend, hoffnungsvoll und ermutigend, aber auch aufregend im Sinne von überfordernd, erschreckend und irritierend, so die Autorin in ihrem Buchbeitrag. Wie war das gemeint? „Es war aufregend im Sinne von verlockend, da tut sich was, da kann ich mitgestalten und so manche vermeintlich oder wirklich verstaubten Gegebenheit verändern“, so Sr. Christine Rod. „Aber aufregend war es natürlich auch im Sinne von überfordernd, zu schnell. Es stellte sich die Frage, wieviel Veränderung verträgt der Mensch auf einmal?“
Sr. Christine Rod unterscheidet drei Phasen: Ordensleben vor, während und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
Weltfremdheit versus Bildungswunsch
Vor dem Konzil war das Kloster eine Betriebs- und Lebensgemeinschaft mit einem einheitlichen Lebensstil, mit klaren Ordnungen in Sachen Hierarchie, Aufgabenverteilung und Gehorsam. Der Vorteil war Sicherheit, der Nachteil eine gewisse Weltfremdheit vor allem bei Ordensfrauen. Gleichzeitig ermöglichte dieses Leben gerade für Frauen ein relativ unabhängiges Leben mit völlig neuen Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Ist das nicht ein Widerspruch?
Sr. Christine Rod. (c) öok/msb
„Manche Frauen nahmen das dankbar entgegen, ordneten sich ein und stellten sich gerne in die zweite Reihe“, sagt Sr. Christine Rod. „Sie haben geschätzt, dass sie versorgt sind, dass sie trotz allem eine hohe gesellschaftliche Position haben. Das war schon so etwas wie sozialer Aufstieg.“ Gleichzeitig gab es aber auch ein Aufbegehren, gab es den Wunsch nach Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. „Viele Ordensgemeinschaften boten Frauen Entfaltungsmöglichkeiten, wie das für andere Frauen noch längst nicht denkbar war. Man denke an die alten Schulorden, zum Beispiel an die Mary Ward-Schwestern: Da gab es viele hochintellektuelle Frauen, die sich als verheiratete Frauen nicht so bilden hätten können.“
Reformstau und Zweites Vatikanisches Konzil
Der Weg in die 60er-Jahre war durch einen Reformstau gekennzeichnet. Die Jahre der Heimatfilm-Romantik gaukelten eine heile Welt vor, die den Menschen den Schrecken und die Verwüstungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs vergessen lassen wollte. Dann kam vieles, wie bei einem Dammbruch, in die Gänge. „Es ist kein Zufall, dass das Zweite Vatikanische Konzil in diese Zeit fällt“, so die Missionarin Christi. „Auf dem Konzil haben sich Gott und die Welt getroffen und wieder versöhnt. Gott ist mitten in der Welt, und das hatte natürlich auch Auswirkungen auf das Ordensleben.“
Perfectae Caritatis
Man erkannte schnell, dass es für das Ordensleben eine eigene Schwerpunktsetzung im Rahmen des Konzils brauchte. Das Ergebnis war das Dekret Perfectae Caritatis, das in den letzten Wochen des Konzils eilig erstellt worden war und mit 25 Paragrafen eines der kürzeren Konzilsdekrete ist. Obwohl es nur provisorischen Charakter hatte, enthielt es bereits alle wesentlichen Hinweise auf eine zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens und war richtungsweisend für die nachfolgenden Jahre.
„Natürlich wurden da schon wichtige und richtige Dinge gesagt.“ Sinngemäß waren die Ordensleute aufgefordert worden, ihre „Hausaufgaben“ zu machen. „Ich sage jetzt flapsig: Leute, geht dran, buchstabiert das alles noch einmal durch für eure Ordensgemeinschaft und passt eure Konstitutionen an“, so die Ordensfrau. Und tatsächlich machten sich in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten die Orden weitgehend daran, ihre Konstitutionen in gründlichen, oft jahrelangen, gemeinschaftlichen Prozessen der Selbstvergewisserung und der Identitätsfindung zu überarbeiten, nach dem Motto: Zurück zu den Wurzeln. Was wollte die Gründerin oder der Gründer? Und was ist unser Auftrag heute?
Zuviel des Wandels?
Gleichzeitig gab es auch zahlreiche Skeptiker; der Wandel ist nicht friktionsfrei abgelaufen, wie ein Zitat aus dem Buch zeigt: Die Ordensleute atmen den Pesthauch einer materialistischen und erotisierten Welt ein. Sr. Christine Rod: „Das ist sicher eines der dramatischsten Zitate im Buch, die ich bei meinen Literaturstudien gefunden habe. Es zeigt, wenn es Umbruchzeiten und Veränderungen gibt, dann bringt das immer Stress und Verunsicherung.“ Und weiter: „Aber man muss auch sagen, dass in der Ordenswelt Treue, Beständigkeit und Stabilität unendlich hohe Werte waren“, so die Autorin. „Nur nichts verändern – das war sozusagen ein Begriff der Tugendhaftigkeit. Es verunsichert natürlich, vor allem, wenn ich vorher über Jahre und Jahrzehnte auf Beständigkeit trainiert war.“ Doch wenn man etwas übertreibt, dann wird es ideologisch und erstarrt; Leben bestehe nun einmal aus Stabilität und Veränderung, aus Wandel und Kontinuität. Die Frage ist allerdings, wie viel brauche ich trotzdem an Beständigkeit? Diese Frage ist so alt wie die Menschheit selbst und wiederholt sich immer wieder.
Generationenkonflikte
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil brach eine Zeit der Experimente an - in vielen Fällen tatsächlich mit Erfolg gekrönt, in vielen allerdings auch zum Scheitern verurteilt. Man vereinfachte das Ordenskleid oder schaffte es ganz ab. Man übte sich in Kommunitätsgesprächen, in demokratischen Entscheidungsfindungs-Prozessen und in Teamarbeit. Man baute große neue Schul- oder Krankenhaustrakte und konnte zunächst auch selbst noch die Leitung und somit alle Gestaltungskraft wahrnehmen - um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Dennoch, trotz aller Neuversuche waren Generationenkonflikte in den Orden vorhersehbar. „Man konnte salopp sagen: Die Alten waren viele, und die Jungen waren auch noch viele.“ Man warf den jungen Ordensleuten vor, alles über Bord werfen zu wollen. Gerade die Oberen in Leitungsfunktionen fühlten sich selbst in Frage gestellt, dieses Dasein, das man als Ordensmensch ein Leben lang zu leben versucht hatte. Umgekehrt traute man der jungen Generation kein Durchhaltermögen zu und meinte, dass sie nicht belastbar sei.
„Das ist heute natürlich deutlich anders geworden“, sagt Sr. Christine Rod. „Dieses Kräftemessen, dieses Matchen zwischen den Generationen, das gibt es gar nicht mehr. Und das ist natürlich ein Stück die Problematik, dass diese vielen alten Ordensleute heute nur wenigen Jungen gegenüberstehen.“
Keine Nachwuchs-, sondern Funktionskrise
Der Konzilstheologe Johann Baptist Metz sah die Situation der Orden nur sekundär als Nachwuchskrise; primär sei sie eine Funktionskrise. „Ich glaube, er meint, zuerst ist eine Art Identitätskrise: Wer sind wir Ordensleute?“, stellt Sr. Christine Rod die Frage, und weiter. „Und auch eine Glaubenskrise oder Glaubensbedeutungsverlust, und daraus folgt eben erst die Nachwuchskrise. Daher ist es weise, nicht nur auf die Zahlen hinzuschielen, sondern wir müssen uns fragen: Was hat das mit uns zu tun? Das ist nicht schuldhaft gemeint, sondern vielleicht ist es einfach nicht klar: Wer sind Orden und Ordensleute heute? Und wozu braucht man uns heute? Vielleicht ist genau das der Punkt, dass das unsere Hausaufgabe heute ist, uns selber neu zu verstehen, zu erfinden und uns plausibel zu machen. Das ist auch schon mein Fazit: Die Hausaufgabe liegt bei uns."
Jubiläumsfeier vom 16. bis 18. Juni 2023
Unter dem Motto "weiter denken | weiter gehen" feiern wir Salvatorianer das 100jährige Bestehen der österreichischen Provinz. Deshalb laden wir Sie dazu ein, mit uns vom 16. bis 18. Juni 2023 in St. Michael in Wien I gemeinsam zu feiern. Höhepunkt wird das Symposion am 17. Juni 2023 sein, das einen weiten Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft spannen wird.
Das Programm finden Sie unter www.salvatorianer.at/100jahre/.
"Erweckte Begeisterung"
100 Jahre österreichische Provinz der Salvatorianer (1923–2023)
Martin Kolozs, Robert Passini, P. Peter van Meijl (Hgg.)
Wagner Verlag 2023
ISBN 978-3-903040-73-1
Erscheint Juni 2023
Mehr Infos unter http://www.salvatorianer.at/buch2023