Podcast Nr. 4: P. Erhard Rauch SDS: Ein Ordensmann mit Ecken und Kanten
Anlass dieses Podcast-Gesprächs ist das Jubiläum „100 Jahre österreichische Provinz der Salvatorianer“, das am 16. bis 18. Juni 2023 in St. Michael gefeiert wird. Höhepunkt wird das Symposion am 17. Juni 2023 sein, auf dem ein Buch mit dem Titel „Erweckte Begeisterung“ präsentiert wird, dass sich mit der Vergangenheit, aber auch mit der Zukunft der Ordensgemeinschaft auseinandersetzt.
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Aufbruch in den 80ern
Einer der zahlreichen Autoren ist P. Erhard Rauch; er schreibt über das Geschehen der Salvatorianer an der Jahrtausendwende – für ihn ein prägender Zeitraum, denn „da hat ein bisschen begonnen, das Konzil zu greifen. Eigentlich hat das in den 80ern angefangen, mit rund 20 Jahren Verspätung. Plötzlich sind neue Ideen, neue Möglichkeiten aufgetaucht sind, Glauben zu verkünden. Da war ein Aufbruch; es gab nichts, was es nicht gab. Wir jungen Kapläne in der Steiermark haben die verrücktesten Dinge gemacht. Wir haben in den Jugendgottesdiensten sehr viel herumexperimentiert.“ So erinnert sich P. Erhard im Gespräch an eine Nacht- und Nebelaktion, in der in einer Kirche der Altar umgedreht wurde: „Wir haben ihn sozusagen zum Volksaltar gemacht!“ In Erinnerung geblieben sind ihm auch provokante Aktionen wie: „Wir haben in Graz einen kleinen Durchgang einfach zugemauert, um zu zeigen, so ist es in Berlin gegangen.“ Um auf die Not verfolgter Menschen aufmerksam zu machen, sollte ein anderes Mal ein Fleischhauer öffentlich ein Schwein auf dem Marktplatz schlachten; das wurde in letzter Sekunde von den Behörden verboten. „Aber wir durften einen gefesselten Menschen hinter einem VW-Käfer mitziehen!“
P. Erhard Rauch: "Als Christen sind wir doch eher auf Auferstehung hintrainiert." (c) Manu Nitsch
Ein Ordensmann mit Ecken und Kanten
Der Sinn hinter all diesen aktionistischen Provokationen war, die Menschen aufzurütteln, „und Aufrütteln kann man eigentlich nur mit starkem Kaffee“, zeigt sich P. Erhard überzeugt. „Das führte zu sehr tiefen und guten Diskussionen.“ Der Hang, Ecken und Kanten zu zeigen und zu experimentieren, ist ihm bis heute geblieben. So gibt es in der ehrwürdigen Michaelerkirche immer wieder Ausstellungen und Aktionen, die für Aufsehen und Diskussionen sorgen. Nur zwei Beispiele: In Kooperation mit der Universität für Angewandte Kunst Wien wurde vor einigen Jahren im Kirchenraum eine Installation mit Wärmelampen initiiert, um auf die in vielen Situationen fehlende menschliche Wärme aufmerksam zu machen; der Spendenerlös kam Obdachlosen in Temeswar zugute. Ein anderes Mal sorgte ein Fastentuch, das die große Problematik des Menschenhandels in den Mittelpunkt gestellt hatte, bei vielen Kirchenbesucher:innen für Entsetzen – zeigte es doch unter anderem einen nackten Frauenkörper. „Doch was ich will, ist Zukunft eröffnen“, zeigt sich P. Erhard kämpferisch. „Glaube kann nicht etwas sein, das mich einengt. Wenn es so ist, dann habe ich es nicht kapiert. Dann ist nicht der Glaube falsch, sondern mein Zugang zum Glauben ist falsch.“
Auf Auferstehung hintrainiert
Was bedeutet für ihn persönlich das 100-Jahr-Jubiläum? „100 Jahre ist, glaube ich, für jede Organisation ein sehr kritisches Alter. Da entscheidet sich: Geht es so weiter oder nicht“, so der Ordensmann. Jede Organisation (und damit auch jeder Orden) beginnt mit einer Vision, entwickelt ein Programm und baut eine Administration auf. „Dann passiert so eine Art Rückwärtsbewegung; es läuft, und man braucht nicht mehr nach vorne schauen, weil alles ja ganz gut funktioniert“, zeigt sich P. Erhard selbstkritisch. „Dann kann es passieren, dass man sich selbst genügt und nur mehr Administration hat. Wenn ich so ein bisschen unsere Geschichte anschaue, hoffe ich, dass wir noch nicht ganz da sind. Der Theologe Paul Zulehner hat einmal gesagt: Es kann sein, dass es einmal eine funktionierende Bischofskonferenz in Österreich gibt, aber keine Gläubigen mehr.“ Natürlich dürfe eine Gemeinschaft auch einmal in Frieden sterben, aber „als Christen sind wir doch eher auf Auferstehung hintrainiert. Und das hoffe ich auch für unsere Ordensprovinz.“
"Neue" Organisation
Deshalb entwickle die Gemeinschaft eine „neue“ Organisation. „Provinzen mit vielen großen Niederlassungen sind, so glaube ich, für uns zurzeit nicht denkbar. Aber wir können Schwerpunkte setzen. Es gibt schon einen Versuch in der internationalen Gemeinschaft, die ein neues Vikariat gegründet hat, das Schwerpunkte setzt, z.B. im Bereich Mission“, erzählt P. Erhard. „In Österreich haben wir in letzter Zeit einen großen Fokus auf die Frage gelegt, wie können wir die Vision unseres Gründers P. Franziskus Jordan in unsere Zeit umsetzen? Was will der Gründer, wenn er sagt, Laien haben die Zukunft? Was heißt das in unserer Zeit? Was heißt das, wenn wir Mitstreiterinnen und Mitstreiter suchen und bekommen, die mit unserer Ordensgemeinschaft verbunden sind und die mit uns in derselben Ernsthaftigkeit arbeiten? Was heißt das: Wir wollen die Laien zur Mitverantwortung in Kirche und Gesellschaft befähigen? Wie schaut dann unser Programm aus? An dieser Vision arbeiten wir gerade. Das ist eine Herausforderung, die uns gelingen muss, wenn wir nicht friedlich entschlafen wollen. Dann gibt es für uns vielleicht doch noch ein Durchstarten.“
Jubiläumsfeier vom 16. bis 18. Juni 2023
Unter dem Motto "weiter denken | weiter gehen" feiern wir Salvatorianer das 100jährige Bestehen der österreichischen Provinz. Deshalb laden wir Sie dazu ein, mit uns vom 16. bis 18. Juni 2023 in St. Michael in Wien I gemeinsam zu feiern. Höhepunkt wird das Symposion am 17. Juni 2023 sein, das einen weiten Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft spannen wird.
Das Programm finden Sie unter www.salvatorianer.at/100jahre/.
"Erweckte Begeisterung"
100 Jahre österreichische Provinz der Salvatorianer (1923–2023)
Martin Kolozs, Robert Passini, P. Peter van Meijl (Hgg.)
Wagner Verlag 2023
ISBN 978-3-903040-73-1
Erscheint Juni 2023
Mehr Infos unter http://www.salvatorianer.at/buch2023