P. Josef Wilfings Inselpost Nr. 4: Hauptsächlich Alltag
Eigentlich wollte ich nach einem Aufenthalt in Vietnam schreiben, aber die Priesterweihe dort wurde vom Bischof aus ungenannten Gründen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Jetzt gibt es für mich hauptsächlich Alltag.
Für mich bedeutet „Alltag“ zu tun, wofür man mich hierher geholt hat. Das ist zuerst die persönliche Gesprächsbegleitung der Brüder. Das mache ich für den dritten und vierten Jahrgang. Für den vierten Jahrgang steht zum Ende des Studiums die Frage an: Wie gehe ich weiter? Bleibe ich bei den Salvatorianern oder gehe ich einen anderen Weg? Auch wenn das Ziel unseres Hauses ein Schritt in der Ausbildung zum Ordensleben ist, wissen wir, dass nach den vier Jahren in unserem Haus zuerst einmal eine gute Entscheidung gefällt werden soll.
Die meisten haben ja keine Vorstellung von dem, was ein Ordensleben ist. Wenn sie bei uns sind, lernen sie das in der Praxis kennen. Es ist uns bewusst, dass bei dieser Entscheidung alles noch ganz offen ist. Wenn jemand wieder in seine Heimat zurückgeht, haben wir jedenfalls geholfen, dass er einen Hochschulabschluss hat, der ihm in seinem Leben bessere Möglichkeiten eröffnet. Zusätzlich gebe ich hin und wieder einen spirituellen Impuls und leite monatlich einen Besinnungstag an. Das gilt für das Haus, in dem ich mit den Philosophiestudenten wohne. Vierzehntägig bin ich im Noviziat, das in der Nähe liegt, mit einem ähnlichen Programm. Einmal im Monat soll ich in Manila bei den Theologiestudenten sein. Diese Aktivität befindet sich noch im Organisationsstadium. Die Lokalsprache „Tagalog“ (oder Filipino) habe ich mir bis zum Lesestadium angelernt. Für das Sprechen fehlt mir noch die Sicherheit.
Wir haben hier die seit vielen Jahren am längsten dauernde Regenzeit hinter uns. Mehr als zwei Monate gab es nur vereinzelte Sonnenstunden aber keinen einzigen Sonnentag. Das macht fast ein wenig depressiv. Es ist auch kaum möglich hinauszugehen, weil man jeden Augenblick vom Regen überrascht werden kann. Wegen des vielen Regens kam es im Tiefland zu Überschwemmungen, von denen mehr als 500.000 Personen betroffen waren. Über 12.000 mussten evakuiert und in Notquartieren untergebracht werden. Unser Dorf liegt etwa 500 m über dem Meeresspiegel. Wir sind davon kaum betroffen. Am Samstag zog ein Taifun, der mit seinem Zentrum die Nordspitze unserer Insel Luzon berührt, vorbei. Die Auswirkungen waren aber bis zu uns spürbar, aber nicht in dem Ausmaß, dass Schäden aufgetreten sind. Es gab starken Wind und in kurzen Abständen Regenschauer. Der Taifun war der Stärkste seit jenem vor fünf Jahren. Damals erreichte er zumindest 275 km/h. Dieser hatte eine Geschwindigkeit von etwas mehr als 200 km/h. Leider werden im Norden mehr als 100 Tote zu beklagen sein, das aber vor allem wegen der Erdrutsche. Die Häuser der Menschen sind sehr einfach und leicht zerstörbar. Auch die Infrastruktur ist sehr dürftig, sodass Hilfen erst nach vielen Aufräumungsarbeiten und auf schlechten Wegen ankommen.
Trotz des „Alltags“ kann ich auf zwei außergewöhnliche Ereignisse zurückschauen, die meinen Blick auf dieses Land und dessen Kultur wieder ein wenig geweitet haben.
Pfarrfest in Talon
Die Kapelle in unserem Ort hat den hl. Rochus als Patron. Das Fest „wirft seine Lametta voraus“. Schon zehn Tage vor dem Festtag werden die Straßen des Dorfes mit Lametta geschmückt. Für jeden „Purok“, das ist ein Wohnviertel, sind einzelne Gruppen verantwortlich. Dann wird an neun Tagen das Fest mit einer Messe in der Kapelle vorbereitet. Das Pfarrfest selbst wird ebenfalls mit einer Messe begonnen. Danach unterscheidet es sich aber wesentlich von unseren Festen. Ein Pick-up mit einer großen Tonanlage bezieht Position und dahinter stellen sich Tanzgruppen aus dem Dorf und aus Nachbargemeinden auf, das sind meist Frauen, und ziehen dann hinter dem Wagen tanzend zu verschiedensten Schlagermelodien durch alle! Straßen des Dorfes. Das dauert etwa drei Stunden. Anfangs mischte mich mit ein paar Jugendlichen zwischen die tanzenden Gruppen und tanzte mit. Das muss leider sein!
Eine der Tanzgruppen mit dem Quotenmann in der Mitte. Darüber der Straßenschmuck. (c) P. Josef Wilfing
Aber schon nach 300 Meter scherte ich aus, weil wir zum Mittagessen geladen waren. Es gibt nämlich keine gemeinsame Essensausgabe, sondern man wird in die Häuser der Familien eingeladen.
Es gilt wie immer: „Eat and go.“ Man bleibt kurze Zeit und geht weiter oder nach Hause. Wir wählten drei Häuser, die uns mehr verbunden sind. Danach gingen wir essensmüde nach Hause. Es kann natürlich auch sein, dass man, wenn man vorbei geht, noch in ein Haus gerufen wird. Zum Mittagessen wird kein Alkohol ausgeschenkt. Wie das später am Tag ist, weiß ich nicht. Auch der folgende Tag hätte eine Veranstaltung gebracht. Von dieser habe ich allerdings nichts wahrgenommen. Es sollte wieder eine Messe und ein Umzug sein. Dieses Mal aber in bestimmten Trachten mit einer besonderen Art von Tanz. Vielleicht kann ich davon das nächste Jahr etwas erzählen.
Der Tanz gehört hier zu jedem Fest. Und jede Pfarre lädt zum Fest Tanzgruppen aus der Umgebung ein, damit auch ein beeindruckender Zug entsteht.
Salvatorianer
Wir Salvatorianer schauen in diesem Jahr auf den 100. Todestag unseres Gründers zurück und in der gegenwärtigen Tätigkeit voraus. In den drei Tagen der Vorbereitung trafen sich jeweils einige der Schwestern, Patres, Brüder und Laien zu einem gemeinsamen Gottesdienst mit anschließendem feierlichem Abendessen. Ich war bei unseren Schwestern in Manila und in unserem Haus mit dabei. Am 8. September, seinem Todestag, wurde wieder in Manila in der Pfarre unserer Schwestern gefeiert. Im Anschluss an die Messe gab es einen Festakt ohne Reden dafür aber mit kurzweiligen szenischen, getanzten und gesungenen Beiträgen. Da uns für den Saal nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung stand, fand die Feier bald ein natürliches Ende.
Beitrag der Kandidatinnen der Salvatorianerinnen in philippinischer und vietnamesischer Tracht (leider ein schlechtes Foto). (c) P. Josef Wilfing
Ich selber schaue auf diese drei Veranstaltungen mit angenehmen Erinnerungen zurück. In einem der folgenden Briefe werde ich auch über unsere pastoralen Aktivitäten hier berichten, wenn ich sie einmal besucht habe. Ich glaube, dass da auch manches Interessante dabei ist.
Politik
Ich möchte auch ein paar Anmerkungen zur politischen Situation hier machen, die ich jetzt mehrmals gekürzt habe, weil die einzelnen Vorgänge einander gleichen.
Die Philippinen liegen außerhalb des weltweiten Interesses, außer man hört von Präsident Duterte Sätze wie „Gott ist dumm“, oder er lässt Bulldozer über geschmuggelte Autos fahren. Für ihn gibt es nur Radikallösungen. Generell ist die politische Situation hier ein Chaos, wie ich meine, oder eine „Tragödie“ wie P. Hubert sagte.
Die praktische Politik des Präsidenten zeigt einige besorgniserregende Aspekte. Bald nach seinem Amtsantritt ließ er den Leichnam des ehemaligen Diktators Marcos exhumieren und im Heldenfriedhof bestatten. Er würde auch als Präsident zurücktreten, wenn man den Sohn des Diktators zum nächsten Präsidenten wählen würde. Die Familie Marcos gehört dank Diktatur auch zu den reichsten Familien des Landes und ist mit der Familie Duterte engstens verbunden. Er würde auch für seine Tochter zurücktreten, von der er sagt, sie sei „hart und unartig“. In deren Heimatprovinz ist sie die Nachfolgerin ihres Vaters nicht nur in der Position sondern auch in der Art und Weise, wie sie ihr Amt wahrnimmt. Ein Priester, der mit anderen die Morde in dieser Provinz in der Zeit von Vater Duterte dokumentiert, muss sich verstecken, weil er mit dem Tod bedroht wird. Männer mit Vollvisierhelm und Motorrad erwarteten ihn entsprechend seinem Tagesrhythmus vor dem Klosterausgang. Der Wächter des Klosters machte den Priester auf die Gefahr aufmerksam. Seitdem lebt er an einem unbekannten Ort.
Nur wenige Tage nach seiner Angelobung amnestierte Duterte die ehemalige Präsidentin (Gloria Macapagal), die wegen mehrerer millionenschwerer Korruptionsfälle zu einer Gefängnisstrafe verurteilt war. Diese hatte die Zeit ihrer Haftstrafe als haftunfähig in einer „Krankenhaussuite“ verbracht. Nach ihrer Entlassung wurde sie nie mehr mit der Halskrause gesehen, die sie während ihres Krankenhausaufenthalts immer trug, wenn sie sich der Öffentlichkeit zeigte. Kürzlich wurde sie zur Sprecherin des Parlaments gewählt.
Der ehemalige Präsident Estrada wurde durch Straßenproteste wegen seiner korrupten Amtsführung aus seinem Amt vertrieben. Er wurde von Duterte amnestiert und ist heute Bürgermeister von Manila. Die politischen Probleme, wie ihr seht sind selbstgemacht. Letztlich wählt man wieder dieselben. Über Dutertes Kampf gegen die Drogen will ich in einer späteren Ausgabe berichten.
Besuch
Mit Carmen Heller aus Gurk hat mich der erste Besuch erreicht. Somit ist weiteren Besuchen der Weg geebnet. Gemeinsam haben wir den Vulkansee und –krater „Lake Taal“ besucht. Sonst hat sie viel selbständig unternommen.
Mit Carmen Heller am Taal-Vulkan mit See und Insel, im Hintergrund der See. (c) P. Josef Wilfing
Anlässlich des Pfarrfestes wurde sie beim Vorübergehen von unseren Nachbarn zum Mittagessen eingeladen und dann zu einem weiteren Ausflug.
Paulas Ausflug
Das neueste Kleinereignis im Haus war der Ausflug von Paula. Sie hatte sich allerdings nur in den Kokospalmen in unseres Gartens aufgehalten und ernährte sich in dieser Zeit von einem Avocadobaum, den sie entdeckt hatte. Mit einem Bündel Bananen in ihrer Wohnung wurde sie zurückgelockt und hinter ihr die Tür mit einer Schnur vom Innern des Haus aus zugezogen. Daraufhin wir sie einen Tag nicht ansprechbar, nahm keine Nahrung an und zeigte uns den Rücken. Am zweiten Tag nahm sie ein Brötchen mit süßem Aufstrich, war aber weiterhin nicht ansprechbar. Seit dem dritten Tag interessiert sie sich wieder für die Vorgänge im Haus und nimmt auch wieder Essen aus der Hand entgegen. Wahrscheinlich wäre sie draußen auch nicht mehr überlebensfähig. Aber unser Garten bietet Früchte oder auch Hühnereiern, was sie bei ihrem vorherigen Ausflug genützt hatte.
Ich grüße euch herzlich von der Insel
P. Josef
Talon, 17. September 2018
PS: Wer mich kennt, wird sich kaum vorstellen können, dass ich bis jetzt keinen Kilometer mit dem Auto gefahren bin. Dafür aber hatte ich Zeit, mir vom Beifahrersitz aus die Verkehrsverhältnisse anzusehen. Ich habe versucht, die Beobachtungen in ein paar Sätzen zusammenzufassen.
Philippinische Verkehrsregeln
Grundsätzliches
1. In der Fahrschule Gelerntes gehört in das ´Handbuch des unnötigen Wissens`. Ausnahme: Rotlicht bei der Ampel bedeutet „Anhalten“!
2. Habe Geduld und bleibe freundlich!
3. Das Tricycle ist überall.
4. Der Cheepney darf alles.
Ein besonders schönes Trycicle. Ich sitze drinnen wie in einem Überraschungsei. (c) P. Josef Wilfing
Praktisches
5. „Free space is your space.“ Fahre, wo immer ein Vorwärtskommen vielversprechend ist – auch auf der Gegenfahrbahn.
6. Auf dem Highway – vierspurige Straße mit Kreuzungen – gehört die Überholspur den langsamen Fahrzeugen und jenen, die über die Sperrlinie nach links abbiegen. Die erste Spur wird fürs Überholen sowie für kurze oder längere Stopps benützt, was eine spannende Mischung ergibt, die einen vor überraschende Probleme stellen kann.
7. Wer eine Sperrlinie überfährt, hat keine rote Linie überschritten.
8. Egal ob oder welches Signal das Fahrzeug vor dir gibt, grundsätzlich ist jedes Verhalten möglich.
9. Wer ein Licht- oder Tonsignal gibt, sagt: Jetzt komme ICH!