Be-RUF-ung
Beim Provinzkapitel Ende Jänner 2019 beschäftigten wir uns inhaltlich mit dem Thema „Berufung“ . Die Begriffe „Beruf “ und „Berufung“ hängen im Deutschen eng miteinander zusammen, phonetisch und semantisch. Doch beide bezeichnen auch unterschiedliche Dimensionen eines Nachdenkens über persönliche Lebensgestaltung: Was ist das Ziel meines Lebens? Was gibt uns Sinn und was erfüllt uns? Und wozu bin ich da, wozu bin ich „berufen“
Wenn ich an Berufung denke, dann fallen mir sofort verschiedene Menschen ein, die sich und ihr Leben buchstäblich verschenken und dabei eine tiefe Freude ausstrahlen. Es sind „Heilige des Alltags“, die leidenschaftlich leben und begeistern können, wie z.B. der 2017 verstorbene P. Berno Rupp SDS, der die letzten 25 Jahre lang in Temeswar für die Armen – zu Beginn für die Straßenkinder – sein Herzblut gegeben hat.
Schon als Kind rührte mich die Begeisterung eines sogenannten „Spätberufenen“ aus dem Nachbardorf tief an. Ich erinnere mich an kein konkretes Wort mehr, das er beim Primiz-Empfang gesagt hat, aber mit welcher Freude er es vermittelte, prägte sich mir zeitlebens ein. Mein kindliches Herz wurde damals erreicht, sodass ich begeistert zu Hause sagte: „So einer möchte ich auch werden!“ Davon spricht Papst Franziskus in einem Interview: „Die Kraft der Berufung kommt immer in der Freude zum Ausdruck. … Wenn das geweihte Leben bei denen, die es leben, Kraft hat, dann erreicht es das Herz der jungen Menschen, die davon entzündet werden und die Botschaft verstehen.“ (Papst Franziskus, Die Kraft der Berufung, Herder 2018)
Gott (be)ruft den Menschen ganzheitlich zur Lebensfülle
Von Berufung sprechen heißt von Gott sprechen. Denn Er ist es, der ruft und sendet. Die Bibel ist voller Berufungsgeschichten: Abraham, Moses, Mirjam, die Propheten, Maria, die Jünger, Paulus… Sie alle hörten sich bei ihrem Namen gerufen und erkannten und lebten ihren Auftrag und ihre Sendung durch eine persönliche Gotteserfahrung. Jesus spricht direkt Menschen an und (be)ruft sie: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und sie zogen die Boote an Land, verließen alles und folgten ihm nach.“ (Lk 5,10f) Die Jesus Folgenden lern(t)en mit und von ihm den Weg der Seligpreisungen zu gehen und nach dem Evangelium zu leben.
Berufung ist ein ganz persönliches Beziehungsgeschehen und ein lebenslanger Prozess, der nie abgeschlossen ist. Dieser Weg kennt Konflikte, Krisen, Unterbrechung und Neuausrichtung.
Um meine Lebensmitte herum kam ich in eine tiefe ganzheitliche Erschütterung, in der ich mich und meinen Berufungsweg massiv in Frage stellte. Mit Hilfe meiner Verantwortlichen und von therapeutischer und geistlicher Begleitung in einer längeren Auszeit in einem Sabbatcenter in den USA konnte ich meinen bisherigen Weg gründlich reflektieren und auswerten. Für diese heilsame Unterbrechung, die harte Arbeit an mir bedeutete, bin ich rückblickend sehr dankbar. Nur durch sie entwickelte ich mich weiter. Auf diesem besonderen Lernweg erfuhr ich: Gott geht den Weg mit, den ich wähle, und ich darf zuversichtlich mit ihm meinen Weg weitergehen.
Aus der Grundberufung Taufe entfalten sich verschiedene Berufungsgestalten
Jesu Einladung und sein Ruf dringen durch alle Jahrhunderte bis zu uns heute. Die grundlegende und erste Berufung geschieht in der Taufe. Bei aller Wertschätzung für die Frauen und Männer in den Ordensgemeinschaften und Säkularinstituten ist es wichtig, uns bewusst zu machen: Es gibt keine Unberufenen! Im Gegenteil: „Ich bin getauft und Gott geweiht … Christus, der Herr, hat mich erwählt, ihm soll ich fortan leben“, singen wir in einem Tauflied (GL 491). Damit beginnt alles.
Er hat uns berufen, erwählt und geweiht zum Bund mit ihm und für den Dienst an den Menschen. Das Zweite Vatikanische Konzil betonte vor gut 50 Jahren vielfach die Gleichheit aller Christen aufgrund von Taufe und Firmung. Nach den Worten des Konzils sind die Laien (vom Griechischen: Laos = Volk; die zum Volk Gottes gehören) „berufen, als lebendige Glieder alle ihre Kräfte ... zum Wachstum und zur ständigen Heiligung der Kirche beizutragen.“ (Konzilsdekret Lumen Gentium 33).
Unserem Gründer, Pater Franziskus Jordan, wurde diese Vision zu seiner Berufung: eine neue apostolische Gemeinschaft von Frauen und Männern, Priestern und Laien zu gründen, damit alle Menschen Gott kennen und lieben. Seine rechte Hand, P. Bonaventura Lüthen, schrieb in der ersten salvatorianischen Zeitschrift „Der Missionär“ über den Zweck dieser Gemeinschaft:
„Der Seelsorger auf der Kanzel, im Beichtstuhle, am Altare genügt nicht mehr; wir müssen Laienseelsorger haben, welche auch auf der großen Kanzel der Welt das Evangelium durch Wort und Leben, durch ihr Handeln und Auftreten lehren und vertheidigen. In Volksversammlungen, in den Beamtenstuben, in Gemeindekollegien, in Vereinen, in den Werkstätten, in Fabriken, in den Druckereien, in den Redaktionen, in den Familien, ja sogar in den Wirthshäusern: Überall bedarf unsere Zeit der Apostel, d.h. Katholiken, welche kein Hehl machen aus ihrer religiösen Überzeugung…“ (Der Missionär, 2. Jhg., Nr. 11, 11.6.1882, S. 82)
Andere werden kommen
Das war und ist immer noch revolutionär, weil wir in der Kirche priesterzentriert, ja zum Teil noch auf Priester und Ordenschristen allein fixiert sind. Infolgedessen klagen viele in Europa: „Wir haben keine oder nur wenige Berufungen. Wir sind nur noch…“ Papst Franziskus stellt fest: Viele Christen sind in Europa hoffnungsmüde geworden. Im Blick auf die uralten Verheißungen dürfen wir bei allen Umbrüchen und radikalen Veränderungen mit P. Franziskus Jordan zuversichtlich sein, wenn er am Sterbebett überzeugt sagte: „Andere werden kommen, und unserer Leiden eingedenk sein und weiter arbeiten.“ (Pater Pankratius Pfeiffer SDS, in Salvatorianer Chronik, 3(1918), Nr. 2, S. 185)
Diese Anderen müssen und werden wahrscheinlich nicht viele Ordenschristen im bisherigen Sinne sein. Es werden aber sicher Männer und Frauen sein, die sich neu inspirieren und begeistern lassen für Jesus, den Heiland der Welt, und ihm in verschiedenen Lebensformen nachfolgen. Sie werden ihren geistlichen Weg suchen, finden, ja vertrauensvoll (auch mit uns Salvatorianern) weitergehen und die Zukunft gestalten.
Text: Provinzial P. Josef Wonisch
Foto: Manu Nitsch