P. Josef Wilfings Inselpost Nr. 6: Vietnam – oder wie belade ich ein Motorrad?
Liebe Freunde und Bekannte,
jetzt ist hier Winter. Den Menschen ist bei über 20° schon kalt. Weihnachten ist in den Geschäften seit Anfang September. Spätestens seit Mitte November steht in und vor vielen Häusern ein geschmückter Baum oder auch eine Krippe. In den amerikanischen Weihnachtsliedern fehlt auch der Schnee nicht. Bisweilen sagt jemand: „Ich habe noch nie Schnee gesehen.“ Auch im kommunistischen Vietnam sind „verschneite Weihnachtsbäume“, der Weihnachtsmann und bisweilen das „Red Nose Ren“ mit Schlitten in den Kaufhäusern allgegenwärtig. So viel lässt sich von der gefeierten Menschwerdung exportieren?
Alte Säule in der Blechkapelle neben unserem Haus. Säulenrest aus der alten Kirche, die im Vietnamkrieg von den Amerikanern zerbombt wurde, weil sich darin Viet-Kong versteckt hatten. (c) P. Josef Wilfing
Vietnam – oder wie belade ich ein Motorrad?
Mit drei Mitbrüdern war ich von den Philippinen zur Priesterweihe von drei jungen Mitbrüdern nach Saigon geflogen. Zwei von ihnen warteten mehr als drei Jahre bevor alle Formalitäten erledigt waren. Die Regierung muss bei jeder Priesterweihe zustimmen. Auch wenn man auf lokaler Ebene gut mit den Behörden zusammenarbeitet, kann es auf der Provinzebene schon wieder schwieriger sein.
Zu Weihnachten hat aber die Distriktsbehörde Grüße an unsere Gemeinschaft geschickt, die jetzt auch rechtlich anerkannt ist. Zu Neujahr wurden diese Grüße erwidert. Meist ist das mit einem Geschenk und einem Gegengeschenk verbunden. Zu Beginn unserer Tätigkeit hier waren wir ganz davon abhängig, ob ein Pfarrer uns junge Leute vermittelt. Nachdem einer dieser Pfarrer über einige Jahre hinweg in seinem Haus Kandidaten aufgenommen hatte, wurde ihm das später von den Behörden verboten. Auch einer Frau, die in dieser Hinsicht für uns aktiv war, wurden weitere Aktivitäten dieser Art untersagt. Wenn unsere Brüder auf Heimaturlaub waren, geschah es bisweilen, dass die Polizei kam um zu kontrollieren. Das konnte auch leicht zu einer Passabnahme führen, was das Weiterstudium im Ausland unmöglich gemacht hätte. Die Studenten haben in solchen Fällen eine Begegnung vermieden und manches Mal schnell durch den Hinterausgang das Haus verlassen. Das hieß dann so schnell wie möglich aus dem Land, auch wenn der Urlaub noch andauern würde. Jede Art von Großveranstaltungen wie ein Gottesdienst zu Weihnachten oder eine Priesterweihe müssen den Behörden gemeldet werden. Diese könnte die Veranstaltung untersagen. Üblicherweise aber wird die Erlaubnis gegeben. Vor unserer Feier war die Polizei in die Pfarre gekommen und fragte, ob ein Ausländer sprechen würde. Der Pfarrer hat den Besuch so verstanden, dass es besser sei, P. Hubert würde seine Dankansprache nicht halten, obwohl der Text vorlag und keine politischen Äußerungen enthalten waren. Man möchte jeden Einfluss durch Ausländer unterbinden. Ausländern ist es auch nicht erlaubt, privat zu übernachten. Dafür sind die Hotels vorgesehen. Bisweilen kann man auch dort von Behördenvertretern aufgesucht werden, die nach den genauen Absichten des Aufenthalts fragen.
P. Josef, einer der drei, mit Familie, manche der Frauen in den langen traditionellen Gewändern. (c) P. Josef Wilfing
Die Katholiken machen etwa sechs Prozent der Bevölkerung aus. Der größte Teil pflegte eine Art der Verehrung der Ahnen. Die zweitgrößte Gruppe sind die Buddhisten, die oft gleichzeitig noch die Ahnenverehrung pflegen. Die Priesterweihe fand in der Pfarrkirche von Ben Cat statt. Zur Pfarre gehören etwa 3.000 Katholiken. Mit den Gästen von auswärts kamen ca. 600 zum Gottesdienst. Bei der Dankmesse am folgenden Tag, der der Pfarrbevölkerung gehörte, nahmen an die 500 Menschen teil. Die Melodien der Gebete, die vom Volk und vom Priester gesungen werden, gleichen einem feierlichen Rezitativ, das auf mich den Eindruck eines gesungenen Gedichts gemacht hat, als ob man an ein Mysterium rühren würde. Die Menschen, die an den Feiern teilnehmen, sind sehr freundlich zu uns, bisweilen zurückhaltend - aber doch neugierig. Außerdem sind wir Ausländer beliebte Partner auf einem Foto.
Vor und in den Kirchen wird gerade an den Krippen gearbeitet. Die Krippenanlagen sind übergroß, verdecken bisweilen die ganze Vorderfront einer (kleineren) Kirche. Dazu gehören verschneite Berge links und rechts. Wir fahren zu zwei Dankgottesdiensten bis ins zentrale Hochland nach Don Duong, vorbei an Kaffeeplantagen (vielleicht alles zusammen 100 km nur an dieser Straße). Der Kaffee wird an den Berghängen bis hoch hinauf angebaut und nach der Ernte an jedem freien Platz links und rechts der Straße zum Trocknen ausgelegt. In höheren Lagen wird Gemüse gepflanzt. Manche habe sich auf biologischen Gemüseanbau spezialisiert. Einige Siedlungen sind von den Migranten aus dem Norden geprägt, die 1954 kamen, als im Norden eine kommunistische Regierung an die Macht kam. Diese Siedlungen sind dann von überdurchschnittlich vielen Katholiken bewohnt. Einmal übernachten wir im Touristenort Da Lat.
Die Kleinmotorräder sind allgegenwärtig. Weil es weniger Autos als auf den Philippinen gibt, läuft der Verkehr trotzdem flüssig. In Saigon ist deren Zahl unübersehbar. Transportiert wird praktisch alles, von bis zu fünf Menschen inklusive Kinder bis zu einem Dachgerüst mit 2,5 mal 2,5 m, Christbäume, Kleintiere, ein ganzer Verkaufsladen.
Eine Ansprache
Eigentlich wollte ich in diesem Brief nichts Politisches bringen, aber eines ist doch so stark, dass es berichtenswert ist. Unlängst sagte unser Präsident öffentlich bei einer Ansprache, die am Abend im TV ausgestrahlt wurde: „Tötet alle Priester und Bischöfe. Sie sind zu nichts nütze.“ Es kann durchaus sein, dass das einige als Auftrag sehen. Ein paar von den 84 Bischöfen und einige Priester äußern sich öffentlich immer wieder negativ über die außergerichtlichen Tötungen. Der Präsident nennt das „Drogenkrieg“. Oft reicht eine Vermutung, die irgendjemand ausspricht, sodass der Verdacht entsteht, Drogen zu nehmen oder mit ihnen zu handeln. Auf diese Weise werden bisweilen auch politische Gegner ausgeschaltet. Es sind dieses Jahr einige Bürgermeister und Vizebürgermeister erschossen worden. Auch 35 Richter oder Staatsanwälte wurde Opfer von solchen Hinrichtungen – wie beschrieben von Motorrädern aus. Von den Priestern wird dann gesagt, dass sie drogenabhängig seien, oder ein Verhältnis mit einer Frau gehabt hätten oder was immer. Auch wenn die Untersuchungsergebnisse der Polizei etwas anderes sagen, gilt die geäußerte Meinung des Präsidenten als richtige Version.
Im City-Jail
Am ersten Adventsonntag hatte ich die Möglichkeit bei der Messe im City-Jail teilnehmen zu können. Dieses ist auf der Terrasse des Gesundheitszentrums eingerichtet. Der Platz ist hier sehr beengt, aber luftig. Statt ursprünglich für 90 Personen vorgesehen, sind dort jetzt 420 untergebracht. Die Gefangenen, die etwas zu tun haben, bewegen sich frei im Bereich. Etwa 120 besuchen die Messe. Zwanzig kommen bei der Gabenbereitung, wie es hier üblich ist, um eine kleine Gabe auf den Altar zu legen. Es gibt irgendwie ein Gefühl der Freiheit und Familiarität. Auch wenn viele keinen Richter oder Staatsanwalt gesehen haben, kommt es vor, dass sie überraschend nach einigen Jahren frei gelassen werden. Am 12. 12. wurden fast ohne Ankündigung 115 Insassen entlassen (mehr als ein Viertel), wie mir P. Hermann erzählte. Einer der Wächter sagte, dass alle, die mit Drogen zu tun hatten, draußen viel gefährlicher leben als hier. Der Sprecher der Gefangenen kam aber zur Weihnachtsfeier am folgenden Montag zurück, um alles zu moderieren. Trotz aller kommenden Schwierigkeiten ist die Entlassung für alle ein Tag der Freude.
Sr. Violetta, P. Hermann, der Sprecher der Gefangenen an der Front. Die Kapelle wurde von einem Gefangenen ausgemalt. Die T-Shirts sind die offizielle Kleidung für die Insassen. (c) P. Josef Wilfing
Manche sagen, dass wir mutig seien. Aber es fühlt sich in keiner Weise gefährlich an. Man kann mit den Gefangenen sprechen oder sich mit ihnen fotografieren lassen. Sie freuen sich, dass man Interesse an ihnen hat.
Kuja Jun - eine uneuropäische Weihnachtsgeschichte
Kuja Jun war lange Jahre im Gefängnis. („Kuja“ ist der ältere Bruder, der in der Abwesenheit des Vaters dessen Autorität übernimmt. Allgemein wird es als eine höfliche Anrede verwendet und bedeutet dann einfach „Herr“.) Besuch kam weder von der Familie, noch von Freunden oder Bekannten. Jedes Mal, wenn Sr. Violetta zu Besuch im Gefängnis war, um irgendein Programm mit den Gefangenen zu machen, fragte er sie: "Kommst du mich besuchen?" Sie sagte immer: "Ja." Weil er keine Besuche bekam, musste er auch mit der knapp bemessenen Essensration auskommen. Er bat die Schwester auch immer um Brot und er benötigte regelmäßig Medikamente, die auch von der Gefängnisleitung nicht bereitgestellt wurden. Oft brauchte er ärztliche Hilfe. Er gehörte zu den treuen Besuchern der Gottesdienste.
Eines Tages ging es ihm so schlecht, dass er zu sterben schien. Als der diensthabende Wächter dies bemerkte, wollte er den Gefängnisdirektor um Erlaubnis fragen, ob man ihn ins Krankenhaus bringen dürfe. Seine Mitgefangenen brachten ihn zuerst in die Kapelle, zündeten eine Kerze an und beteten für ihn. Während dieser Zeit veränderte sich sein Gesicht. Er sagte, dass ihn ein weißer Mann besucht hätte.
Die Krippe der Vietnamesen im Speisessaal: Es muss blinken und Berge geben. Die von Ost-Timor steht in der Kapelle, die der Indonesier in der Eingangshalle. Da arbeiten alle mit Begeisterung. (c) P. Josef Wilfing
Als der Wächter zu diesem Zweck ins Büro eilte, sah er ein eigenartiges Licht, doch als er aufblickte, sah er auf dem Bildschirm der Überwachungskamera einen kleinen weißen Mann am Eingangstor stehen. Bevor er also das mit dem Krankenhaus erledigte, wollte er sich noch vergewissern, wer vor dem Tor sei. Doch als er hinauskam, sah er niemanden. Er eilte in sein Büro, um auf den gespeicherten Bildern nachzusehen. Dort war eine kleine weiße Gestalt zu sehen, die sich langsam vom Boden in die Höhe entfernte. Auf dem Weg zum Krankenhaus war ständig dieses seltsame Licht um ihn. Obwohl der Arzt ihn noch mit einer Injektion am Leben erhalten wollte, starb June kurz danach. Der Wächter hatte schon versucht die Familie zu erreichen, aber niemand interessierte sich. Schließlich kam eine Nichte ins Gefängnis, aber um den Körper des Toten zu bekommen, musste der Spitalsaufenthalt bezahlt werden. Weil sie kein Geld hatte, gab der Wächter von sich aus das Geld, um dem Armen noch einen letzten Dienst zu erweisen. Als die Nichte im Krankenhaus zahlen wollte, sagte der Kassier, dass diese Rechnung schon bezahlt sei. Mit dem Geld zurück beim Wächter, sagte sich dieser, dass nun dieser „weiße Mann“ auch noch die Krankenhausrechnung bezahlt habe.
Während dieses Vorgangs wurde Sr. Violetta angerufen, dass sie wegen des Sterbefalles kommen möge. Im Gefängnis erzählte man ihr diese Geschichte und zeigte die Aufnahme der Überwachungskamera. Dort war eine kleine weiße Gestalt etwa in der Größe eines Schulkindes zu sehen, die unterhalb der Eingangsstufen stand und sich erhob, als der Wächter kam, um nachzusehen. Sie schien einen langen weißen Mantel zu tragen und glich einer Lichtgestalt. Für sich interpretierte sie das so: Gott hat seinen Engel geschickt, damit dieser arme Mann in Würde sterben kann.
Geschehen am 12. Februar 2018, City-Jail, Cavite.
Ich wünsche euch allen alles Gute, Gesundheit und viel Freude für das neue Jahr.
P. Josef Wilfing